Dummendorf - Roman
Angeln gehoben, lag sie in den Brennnesseln.
Bäuchlings robbten sie durch das taufeuchte Gras bis dicht vors Haus und verharrten. In diesem Augenblick fiel drinnen polternd etwas um und rollte über den Fußboden. Die Verrückte schimpfte undeutlich. Die Fünftklässler pressten sich flach auf den Boden.
»Gehirnkrankheiten sind ansteckend«, flüsterte Vitka. »Haben sie im Fernsehen gesagt.«
»Sei still!«, zischte Ilja Sergeitsch. »Gleich kommt sie rausgesprungen. Und niest dich an!«
»Und dich küsst sie auf den Mund!«
»Und dir schleckt sie den Hals ab!«
»Klappe!«, fauchte Wanka mit wild hervorquellenden Augen.
Sie erstarrten und horchten. Die Verrückte lief im Haus herum, sang, murmelte vor sich hin, und dem gleichmäßigen Stampfen nach zu urteilen, tanzte sie auch. Die alten Dielen knarrten. Gellend kreischten die Dohlen, die Fetzen von Wellpappe aus dem Dach der Verrückten rissen.
»Und dir spuckt sie in den Mund!«, keuchte Vitka und kassierte einen Ellbogenstoß in die Seite.
Die Verrückte war nun ganz nah am Fenster. Die Rassel, von der sie sich nicht trennte, klapperte fast direkt über den Köpfen der Jungen. Die Verrückte stützte sich aufs Fensterbrett, gab einen kehligen, gurgelnden Laut von sich und schmetterte plötzlich aus vollem Hals:
»Kommt ein Huhn zur Apotheke
Kräht: Hier hast du ’ne Kopeke,
Gib mir Salbe und Parfüm,
Um die Hähne anzuziehn!«
Die Jungen hielten sich den Mund zu und bebten lautlos. Vitka, knallrot vor Anstrengung, hielt es nicht mehr aus und prustete, und dann wieherten auch Wanka und Ilja Sergeitsch erleichtert los.
»Ah! Besuch!«, freute sich die Verrückte und beugte sich aus dem Fenster.
Doch die Fünftklässler waren wie der Blitz schon durch die Pforte und hatten ganz vergessen, dass sie eigentlich nach hinten durch die Gärten verschwinden wollten, um Minkin loszuwerden. »Ljubka, die Verrückte, hat den Kopf voll Grütze!«, rief Ilja Sergeitsch im Laufen und schleuderte sogar noch einen Stein in ihre Richtung; der flog allerdings nicht weit genug.
Sie rannten die Hauptstraße entlang, verfolgt von dem heftig keuchenden Minkin; erst im Hof der Kirche verschnauften sie, im Schatten des Glockenturms, vor dem ein Schloss hing.
»Da drin wohnt der Teufel«, erklärte der allwissende Vitka. »Hab ich selber gesehn.«
»Spiderman hast du nicht zufällig gesehen?«, fragte Ilja Sergeitsch verächtlich.
»Ich hab alle gesehen«, log Vitka unbestimmt.
Vater Konstantins Hütte stand offen, doch drinnen war niemand. Die Fünftklässler standen unschlüssig auf der Schwelle und überlegten, wie sie die Abwesenheit des Hausherrn nutzen könnten. Der Erste, dem etwas einfiel, war Vitka – sehr zum Ärger von Ilja Sergeitsch.
»Der alte Pope Michej«, sagte er geheimnisvoll, »der hat hier irgendwo einen Schatz versteckt.«
»Was soll der denn für einen Schatz gehabt haben«, fragte Wanka zweifelnd.
»Gestopfte Socken!«, spottete Ilja Sergeitsch.
»Blödmänner! Deshalb war er ja arm, weil er das ganze Geld für die Perle ausgegeben hat!«
»Eine Perle?« Die Fünftklässler vergaßen ihren Streit.
»Als ich Vaters Schrot geschluckt hatte«, begann Vitka, die allgemeine Aufmerksamkeit genießend, »da hat meine Oma mich in die Kirche geschleppt, heiliges Wasser trinken, weil der Doktor gerade am Saufen war.«
»Klar, da haben sie doch Onkel Wowa zum Armeedienst verabschiedet«, bestätigte Wanka. »Mein Vater wär damals beinahe im Ofen verbrannt.«
»Also. Der alte Pope, der hat das in der Kirche erzählt. Von wegen, früher, da hätte er alles im Überfluss gehabt. Perlen, Dollars und Autos. Aber dann, sagt er, hat ihm ein Spekulant die schönste Perle der Welt gezeigt. Und da hat er alles verkauft, was er besaß, und die Perle gekauft.«
»Und weiter?«
»Ich denke, er hat sie hier irgendwo versteckt. Wo sonst.«
Nachdem die Fünftklässler Minkin dazu verdonnert hatten, an der Pforte Wache zu halten, durchwühlten sie die nächste halbe Stunde lang die Hütte, klopften die Wände ab, schauten sogar ins Waschbecken – und fanden nichts Nennenswertes.
»Also hat er sie draußen verbuddelt«, schloss Vitka messerscharf.
»Wir müssen graben«, entschied Wanka.
»Sie werden uns erwischen«, wandte Ilja Sergeitsch ein. »Ist sie wenigstens groß?«
»Mindestens wie ein Hühnerei«, verkündete Vitka. »Vielleicht auch wie ein Fußball.«
Und sie gerieten so sehr ins Träumen vom Schatz des alten Popen, dass sie
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