Dummendorf - Roman
mit einem unsichtbaren Gegenüber.
Als die Tadschiken einer nach dem anderen aus dem Laden kamen, entdeckte Ljubka Vater Konstantin.
»Ah, Heiligkeit!«, rief sie gellend, und die Tadschiken stürzten zu ihren Fahrrädern. »Du denkst wohl, Ljubka ist kein Mensch?«
»Das denke ich nicht.«
»Ljubka ist wohl ein Mensch! Und die Tschurki sind auch Menschen!« Ljubka winkte den Tadschiken nach, die sich rasch entfernten. »Aber keiner glaubt das.«
»Ich schon.«
»Du? Wie kommst du dazu?! Wo ich mich doch selber vergesse. Eine Verrückte! Eine läufige Füchsin! Das bin ich!«
»Du bist ein Mensch.«
»Du kannst mich mal!« Ljubka zog ein Gesicht und wandte sich ab.
Vater Konstantin trat auf der Stelle und meinte, das Gespräch sei beendet. Doch da schaute Ljubka über die Schulter zurück und sagte weinerlich:
»Sie haben mir mein Töchterchen weggenommen. Deshalb bin ich jetzt so eine Schlampe. Sonst würde ich in ihre reinen Äuglein schauen und auf mich Acht geben …«
»Du hast also zwei gehabt? Zwei Kinder?«
»Nicht doch, nur eins. Sie war winzig, aber wenn sie gebrüllt hat, platzten mir die Ohren!«
»Aber das war doch ein Sohn!«
»Ein Sohn? Na ja, vielleicht. Es ist lange her.«
Vater Konstantin war noch nicht zu Hause angelangt, als ihn Jewdokija keuchend einholte.
»Batjuschka, zu Hilfe! Ich kann keinen einzigen Mann auftreiben! Sie sind alle nach Pustoje Roshdestwo abgehauen! Hochzeit feiern!«
»Was ist denn passiert?«
»Helfen Sie uns, den Jungen zu bändigen!«
»Den von gestern?«, erkundigte sich Vater Konstantin schon im Laufen.
»Ja, ja! Er ist zurückgekommen! Was soll bloß werden? Der schlägt uns alles kurz und klein!«
In der kleinen Schule von Mitino herrschte ein Getöse und Gepolter, als wäre eine Brigade von Holzfällern am Werk.
»Wir haben die Kinder sicherheitshalber nach Hause geschickt«, erklärte Jewdokija. »Klawdija Iwanowna hat sich im Lehrerzimmer eingeschlossen.«
»Dann setzen Sie sich auch ins Lehrerzimmer«, entschied Vater Konstantin.
Jewdokija verschwand, schloss die Tür hinter sich, das Schloss klackte, und etwas Schweres wurde über den Fußboden geschoben, vermutlich der Schreibtisch der Direktorin.
Gleich im ersten Klassenzimmer entdeckte Vater Konstantin den tobenden Jungen. Eingewickelt in einen Vorhang, sprang er über die Bänke und schlug mit einer Schöpfkelle auf einen Aluminiumtopf ein. Ein zweiter Topf, etwas kleiner, mit der Aufschrift Kompott , schmückte seinen Kopf. Vor der Tafel lagen zertrümmerte Stühle, bestreut mit Blumentopferde.
Als er Vater Konstantin sah, tat der flüchtige Heimzögling etwas höchst Überraschendes. Mit einem Ruck warf er seine gesamte Ausrüstung ab, sprang von der Bank, rannte zu ihm, umschlang ihn mit beiden Armen, schmiegte sich an ihn – und wurde starr. Der malträtierte Topf rollte scheppernd über den Fußboden und prallte gegen die Wand.
Ohne die Umklammerung zu lösen, hob der Junge das sommersprossige, spitze Gesichtchen und lächelte betörend. Ljubkas kalte Augen blickten Vater Konstantin an. Der Heimjunge besann sich, löschte den Blick mit seinen buschigen Wimpern und lächelte noch breiter.
»Wer bist du?«, fragte er mit gespielter Kindlichkeit.
»Vater Konstantin.«
»Ich bin Kostja! Darf ich erst mal bei dir wohnen?«
»Nur zu.«
Sie verließen den verwüsteten Raum. Kostja versetzte der Lehrerzimmertür einen Tritt.
»He, ihr Glucken! Rauskommen! Die Belagerung ist vorbei!«
Am Abend wollte Vater Konstantin noch einmal nach Jewdokija schauen. In der Schule wurde trotz der späten Stunde eifrig gearbeitet. Drei Zehntklässler stellten die Bänke, die der schmächtige Kostja verrückt hatte, wieder an ihren Platz, die Mädchen fegten den Fußboden, Klawdija schluckte Corvalol und sann auf Rache. Jewdokija huschte verwirrt in dem Chaos umher, das der flüchtige Heimzögling angerichtet hatte, und wusste nicht, wo sie anfangen sollte.
Vater Konstantin ging mit ihnen ins Lehrerzimmer, um über Kostjas weiteres Schicksal zu sprechen. Wie er vermutet hatte, wollten die beiden Damen den kleinen Zerstörer ins Heim zurückschicken. Die Pädagoginnen hätten längst ein Auto angefordert, wenn der pfiffige Junge nicht das Telefonkabel durchgeschnitten hätte. Mobiltelefone funktionierten in Mitino nicht.
»Aber er ist doch morgen wieder hier«, sagte Vater Konstantin. »Und dann lässt er mit Sicherheit keinen Stein mehr auf dem anderen. Aus Rache.«
»Also was
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