Dummendorf - Roman
Stils:
Hat das Haus der Sünderin vor dem Haus Gottes aufgesucht.
Von Bremsen zerstochen, von Riedgras zerschrammt und von der Sonne verbrannt, kehrte Mitja nach Hause zurück. Vor dem Ortsschild Mitino blieb er stehen und holte ein Notizbuch aus der Tasche, in das er wichtige Gedanken eintrug. Zum ersten Mal in seinem Leben schrieb er etwas hinein, das nichts mit den Gesetzen des historischen Prozesses zu tun hatte:
Blühende Lilien riechen wie Glück!
»Sie gehen spazieren?«, fragte eine einschmeichelnde Stimme über seinem Ohr, und Mitja fuhr zusammen und ließ den Stift fallen.
Vor ihm stand ein nicht sehr großer, kugelrunder Mann: die eiförmige Glatze leuchtete in den Strahlen der untergehenden Sonne, das wohlgenährte Gesicht glänzte rosig, unter dem Jackett wogte ein Bauch, der an einen Globus erinnerte.
»Sie sollten lieber nicht allein herumlaufen«, riet er Mitja besorgt. »Hier in der Nähe wohnen gefährliche Irre, ohne jede Bewachung. Man kann nie wissen. Wenn so einer mit dem Rasiermesser zusticht, wird er nicht mal zur Verantwortung gezogen. Und Sie sind also der neue Lehrer? Sehr angenehm. Mein kleiner Faulpelz kommt zu Ihnen in die 11. Klasse. Hat übrigens nur Einsen, Wassenka Gawrilow. Sie lassen ihn doch bei den Prüfungen nicht im Stich, ja? Geben ihm einen Wink, wenn nötig? In Ordnung?«
»Wir werden sehen«, murmelte Mitja und blickte wehmütig auf die Felder, an die er sich bereits gewöhnt hatte.
Der Friede hatte sich aus der ihn umgebenden Welt verflüchtigt wie Gas aus einem kaputten Ballon. Unter jedem Strauch, in jedem zitternden Wäldchen sah Mitja jetzt einen Irren mit einem Rasiermesser in der Hand.
»Na, wunderbar«, schnurrte der Rentner Gawrilow und ging ungerührt seiner Wege. »Dann sind wir uns ja einig.«
FÜNFTES KAPITEL
Die kleinen Jungs
Der Fünftklässler Ilja Sergeitsch erwachte von einem ohrenbetäubenden zweistimmigen Quieken. Mit geschlossenen Augen rutschte er samt Decke auf den Fußboden und kroch auf allen vieren zum Fenster. Erst jetzt öffnete er widerwillig die Lider und erblickte Wanka und Vitka, die auf der Akazie eifrig in ihre Pfeifen bliesen.
»Kommst du raus?«, riefen sie im Chor.
»Gleich.« Ilja Sergeitsch gähnte und kratzte wie wild an einem Mückenstich am Ellbogen.
Aus der Kratzstelle trat weiße Gewebeflüssigkeit, dann ein roter Tropfen. Ilja Sergeitsch wollte ihn ablecken, aber so sehr er sich auch reckte, er kam nicht heran, es fehlten ein paar Zentimeter.
»Du musst dich nicht in den Arm beißen, Herzblatt«, sagte Baba Jewgrafowna, die auf ihrem hohen Bett saß. »Iss lieber dein Frühstück, es steht da auf dem Tisch für dich.«
Ilja Sergeitsch kapierte sofort, dass die Erwachsenen nicht zu Hause waren, nur Baba Jewgrafowna, seine Urgroßmutter, aber die zählte nicht, weil sie allein nicht aus dem Bett kam; also konnte er sich um zwei morgendliche Plagen herumdrücken: das Waschen und den Grießbrei.
»Denk dran, Baba«, erinnerte er sie für alle Fälle, »ich bin nicht mehr Iljuscha, ich bin jetzt Ilja Sergeitsch. Ein Fünftklässler.«
Die alte Jewgrafowna lächelte verschwommen. Ilja Sergeitsch zog seine Shorts von undefinierbarer Farbe an, riss vom Brot fürs Mittagessen beide Kanten ab – ein Verbrechen, das das Familiengesetz mit aller Strenge ahndete –, stopfte sich die Taschen mit Würfelzucker voll und rannte hinaus auf den Hof.
Wanka und Vitka waren düster.
»Du hast dich ewig gekratzt, und jetzt hat sich Minkin an uns gehängt«, teilten sie mit.
Der dreijährige Minkin, fest an Vitkas Hosenbein geklammert, schaute entschlossen unter seinem Panamahut hervor, bereit, sich seinen Platz in der rauen Männerwelt zu erkämpfen.
Natürlich war es für Minkin, der noch nicht sprach, schwer, den großen Jungen zu folgen, und jeder Tag brachte eine Reihe bitterer Kränkungen und Enttäuschungen. Besonders seit Wanka, Vitka und Ilja Sergeitsch in die fünfte Klasse versetzt worden waren und einhellig beschlossen hatten, dass es unter ihrer Würde sei, sich mit so einer kleinen Rotznase abzugeben. Aber Minkin hatte keine Wahl. Schließlich konnte er nicht bei den alten Weibern auf dem Baumstamm sitzen!
Sie beratschlagten eine Weile und beschlossen dann, auf Erkundungsgang zu der Verrückten zu gehen. Minkin wurde als Wachposten in den Kletten am Wegesrand zurückgelassen, und die Fünftklässler kletterten unter großen Vorsichtsmaßnahmen über den Zaun, obwohl die Pforte mehr als offen war – aus den
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