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Dummendorf - Roman

Dummendorf - Roman

Titel: Dummendorf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Freude! Du atmest ein – und das ist Glück. Etwa nicht?«
    »Na ja.« Mitja war verwirrt. »Wahrscheinlich.«
     
    Von Dickmilch und Brot angenehm gesättigt, machte sich Mitja auf zur Schule – um zu erfahren, was er jetzt, in den Ferien, tun sollte. Lehrpläne aufstellen? Unterrichtsvorbereitungen schreiben? Oder vielleicht sonst noch was?
    Vor dem Laden begegnete ihm ein junger Geistlicher, eine Flasche Wodka unterm Arm. Mitja wandte erschrocken den Blick ab und betrachtete die riesigen Kletten, die im Straßengraben schaukelten. Unter jeder hätte sich ein Kind oder die kleine Direktorin Jewdokija mühelos verstecken können.
    Das gesamte Schulvolk war wieder auf den Beeten versammelt. Mitja erfuhr, dass es nichts weiter zu tun gab. Außer Jäten, Häufeln und Gießen. Und das bis zum Ende des Sommers.
    »Aber kommen Sie, ich zeige Ihnen wenigstens die Schule«, besann sich Jewdokija, als sie sah, dass Mitja – unter dem anschwellenden Gelächter der Mädchen – nicht wusste, was er im Garten tun sollte.
    Die Schule bestand aus einem Speiseraum mit einem sehr langen Tisch, dem Lehrerzimmer und drei Klassenräumen. Im Flur hing eine Tafel an der Wand: Unsere Heimat – die Bitjug-Aue .
    »Was ist das?«, fragte Mitja erstaunt.
    »Unser Fluss.« Jewdokija war verlegen. »Er heißt Bitjug … Aber was ich Sie schon die ganze Zeit fragen wollte … Sie kommen doch aus Moskau, vielleicht wissen Sie ja Bescheid. Stimmt es, dass Katrin vom Präsidenten schwanger ist?«
    »Was? Wer?« Mitja war verblüfft.
    »Aber ich bitte Sie!« Nun wunderte sich Jewdokija. »Katrin, die Sängerin, die vor kurzem in die Staatsduma gewählt wurde. Sagen Sie bloß, Sie haben den Namen noch nie gehört? : ›Doch du, du liebst mich überhaupt nicht …‹. Kennen Sie das nicht?«
    »Ach, sie singen doch alle ungefähr das Gleiche.« Mitja lächelte. »Aber Sängerin und Abgeordnete, das ist stark. Fast wie die Köchin, die den Staat regiert.«
    »Sie lesen keine Zeitung?«, fragte Jewdokija enttäuscht.
    »Nein.«
    »Aber man muss sich doch auf dem Laufenden halten! Gerade Sie als Historiker! Soll ich Ihnen welche bringen? Ich habe jede Menge. Wowa bring sie jeden Tag aus der Stadt mit.«
    Mitja lehnte höflich ab. Jewdokija kehrte verständnislos zu ihrem Beet zurück. Sollte dieser seltsame Lehrer die Ferien nach eigenem Gutdünken verbringen.
    Mitja, dem seine Untauglichkeit zu landwirtschaftlichen Arbeiten peinlich war, ging auf die Wiesen hinaus, weiter und immer weiter, und wie ein Fohlen, das sich losgerissen hat, sprang er dort in der Freiheit herum. Allein unterm tiefblauen Himmel.

VIERTES KAPITEL
Die Gawrilows
    Am Abend schaute der Rentner Gawrilow mit seiner Frau Klawdija Iwanowna, der Lehrerin der unteren Klassen, bei Vater Konstantin vorbei. Klawdija machte sich gern jünger, sie trug lange Ohrringe und einen Fransenschal. Doch bald würde auch sie Rentnerin sein. Sie hatte nur noch ein Jahr zu arbeiten: Die drei Rabauken der 4a wechselten in die Mittelstufe, und Jüngere gab es in der Schule nicht. Irgendwo jenseits der demographischen Lücke winkten der dreijährige Minkin und der neugeborene Sohn von Swetka Pachomowa. Aber bevor die beiden herangewachsen waren, hatte man Klawdija längst in den verdienten Ruhestand geschickt.
    Umsichtig, wie sie waren, hatten die Gawrilows drei Beutel Tee, sechs Stück Zucker und einen Tauchsieder mitgebracht. In Vater Konstantins Haushalt fehlten aber auch die Tassen, sodass Klawdija noch einmal nach Hause gehen musste, um welche zu holen.
    Rentner Gawrilow, der ein großer Stratege war, hatte die fehlenden Tassen bei der Planung des Besuchs von vornherein einkalkuliert. Er nutzte die zeitweilige Abwesenheit seiner Frau, um nachzuholen, was der schlampige Fahrer Wowa versäumt hatte: die Papiere zu kontrollieren.
    In Gegenwart seiner Frau hätte er das ungern getan. Klawdija kommentierte die Wachsamkeit ihres Gatten stets mit bissigen Bemerkungen und drohte sogar mit Scheidung, wenn sie wieder einmal von seinen Denunziationen und Beschwerdebriefen erfuhr.
    Gawrilow schlug Vater Konstantins Ausweis auf und schaute zuerst auf den fünften Punkt . Der neue Geistliche war Russe, geboren in Russland. Auch sein Name weckte keinerlei Verdacht. Dem Rentner fiel ein Stein vom Herzen. Dass man ihnen einen getauften Juden nach Mitino schicken würde, war seine größte Sorge gewesen.
    Gawrilow trug Vater Konstantins Ausweisdaten sorgfältig in sein Büchlein ein, schrieb sich die Nummer des

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