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Dummendorf - Roman

Dummendorf - Roman

Titel: Dummendorf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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verändert, als sei tief in ihm ein Ruhepunkt aufgetaucht, und als habe er, der ohne Ruder und Segel durch die Welt trieb, einen Strohhalm gefunden, an den er sich nun klammerte.
    Vater Konstantin begriff, dass die Begegnung stattgefunden hatte, stellte aber keine Fragen. Und Kostja hielt es nicht für nötig, ihn in Einzelheiten einzuweihen. Er war satt, stopfte die Reste in die Taschen seiner schmutzigen Kinderheimjacke, sprang vom Tisch und schlüpfte grußlos zur Tür hinaus.
    Vater Konstantin wollte seine Reparaturen fortsetzen, fand aber weder den Hammer noch die Büchse mit den Nägeln, die er auf den Hocker unterm Waschbecken gestellt hatte.
     
    Am Abend schaute Jewdokija vorbei.
    »Jetzt nagelt er Ljubkas Fenster mit Sperrholz zu«, verkündete die kleine Direktorin und schaute Vater Konstantin fragend an, unsicher, wie sie auf das Geschehen reagieren sollte.
    »Nun, wir werden sehen«, sagte der. »Rufen Sie vorerst nirgendwo an, bitte.«
    »Die Männer sind immer noch auf der Hochzeit«, seufzte Jewdokija bedrückt, weil sie das schreckliche Wiedersehen mit ihrem Mann voraussah, der nach einer durchzechten Woche toben würde wie ein wildes Tier. »Das Telefon ist immer noch kaputt. Aber sobald es repariert ist, ruft Klawdija bestimmt an. Das wissen Sie ja.«
    Bei den letzten Worten fing Jewdokija, die mitnichten an das Telefon dachte, sondern an ihr qualvolles Eheleben, plötzlich an zu weinen.
    »Wenn Sie wüssten! Wenn Sie nur wüssten!«, stammelte sie unter Tränen.
    Vater Konstantin setzte sich neben sie, und wie ein Kind lehnte Jewdokija den Kopf an seine Schulter und schluchzte lauthals.
     
    Am nächsten Morgen machte sich Vater Konstantin zu Fuß auf den Weg in das Heim, aus dem Kostja weggelaufen war. Er musste Klawdija zuvorkommen. Um warm zu werden, fiel er hin und wieder in Trab. Der Fahrer Wowa war entgegen seinem eisernen Gelöbnis, morgens nicht zu trinken, ebenfalls auf der Hochzeit in Pustoje Roshdestwo versumpft. Schließlich heiratete ein ehemaliger Armeekamerad.
    Bis zum Heim war es nicht weit, rund zwanzig Kilometer. Am Mittag saß Vater Konstantin im Büro der Direktorin und erklärte ein ums andere Mal die Situation. Das schlaffe, gutmütige Gesicht der Heimleiterin Olga Wladilenowna sagte ihm, dass es Hoffnung gab. Und er irrte sich nicht.
    Die Verhandlungen zogen sich schon über zwei Stunden hin, und die vor Neugier vergehende Sekretärin hatte das Tablett mit dem unberührten Tee längst abgeräumt, als Olga Wladilenowna, wenn auch widerstrebend, endlich nachgab. Vater Konstantin, der inzwischen alle seine Argumente ausgeschöpft hatte, spürte mit Entsetzen, dass er womöglich die letzte winzige Anstrengung nicht mehr aufbringen würde.
    Doch in diesem Augenblick kam ihm die Direktorin selbst zu Hilfe.
    »Ist es wahr, was erzählt wird«, fragte sie, die Stimme geheimnisvoll gesenkt, »dass die Welt bald untergeht?«
    Außerstande, dem etwas entgegenzusetzen, nickte Vater Konstantin.
    »Na schön, mag er erst mal dort bleiben«, stimmte Olga abergläubisch zu. »Was soll’s. Wir führen ihn solange als weggelaufen. Und falls nötig, kümmern wir uns um seine Wiederaufnahme. Wenn die Sache so ist.«
     
    Als Vater Konstantin am späten Abend nach Mitino zurückkehrte, bemerkte er erstaunt, dass in der Schule ein Fenster erleuchtet war. Im Lehrerzimmer saß die kleine Jewdokija. Als sie Vater Konstantin entdeckte, hielt sie sich rasch ein Taschentuch vor den lila Fleck unterm Auge.
    »Ich bin hingefallen«, schwindelte sie hilflos und wandte den Blick ab. »Es hat Frost gegeben, es ist so glatt. Ja, und ich stecke bis über beide Ohren in Arbeit. Es ist so viel zu tun. Ich danke Ihnen für alles. Gute Nacht!«
     
    Vor dem geschlossenen Laden lärmten die von der Hochzeit zurückgekehrten Männer. Palytsch, der Mann der kleinen Jewdokija, schwenkte die Faust und agitierte dafür, zur Schnapsbrennerin Alka zu gehen. Wowa, der am nächsten Tag wieder arbeiten wollte, lehnte ab. Der düstere Pachomow schwieg und hing seinen schwerfälligen Gedanken nach.
    »Kusma Palytsch«, rief Vater Konstantin.
    Die Faust erstarrte und senkte sich langsam. Palytsch, aus seinem kämpferischen Rhythmus gebracht, fiel unversehens in eine weinerlich-gutmütige Stimmung.
    »Batjuschka«, sagte er gerührt. »Sieh einer an! Auch ihn treibt es nachts um, wie gewöhnliche Sterbliche!«
    »Kusma Palytsch, du schlägst also deine Frau?«
    »Ja!«, rief Palytsch mit unaussprechlicher Bitterkeit. »Ich

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