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Dummendorf - Roman

Dummendorf - Roman

Titel: Dummendorf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Daschas und Jewdokija mit, die neben ihr Unkraut jäteten.
    »Wie oft denn noch!«, riefen sie im Chor.
    »Du solltest besser an die Prüfungen denken«, ergänzte die Direktorin. »Und wo du dich danach bewerben willst.«
    »Aber was soll ich denn machen?«, gurrte Angelique und schaute mit verschwommenem Blick dem schönen Pascha nach. »Ist er nicht süß? Er sieht aus wie Leonardo di Caprio.«
    »Die beiden Daschas leben ruhig und friedlich«, fragte Jewdokija verwundert »warum bist du so sprunghaft?«
    »Hier, sehen Sie.« Angelique streckte ihre erdverkrustete Hand aus. »Mein Venushügel ist stark ausgeprägt. Mir ist also beschieden, zu lieben und zu leiden.«
    »Woher weißt du das?«, erkundigte sich die Direktorin respektvoll.
    »Oma Kapa hat ein Buch hinterlassen, noch mit alter Schrift, Chiromantie heißt es. Da steht alles drin, mit Abbildungen. Auch, wie man die Lebenslinie mit einem Zirkel misst. Und wie viele Ehemänner man haben wird.«
    »Ach – wie viele sind es denn bei mir?«, fragte die arme Jewdokija voll zaghafter Hoffnung.
    Das Mädchen drehte wie eine geübte Zigeunerin die Handfläche der Direktorin um, runzelte die dichten Brauen und machte sich, hin und wieder zum Nachbarbeet blickend, an die Schicksalsdeutung.
    »Ihnen, Jewdokija Pawlowna, ist allen Anzeichen nach nur ein Mann beschieden«, verkündete sie schließlich. »Und keine Kinder.«
    »Das ist nicht wahr!«, rief Jewdokija ärgerlich und riss ihre Hand weg. »Ich war letztes Jahr bei der weisen Frau in Marjino. Sie hat mir ein Kind geweissagt und einen reichen Verehrer!«
    »Na ja, einen Verehrer«, sagte Angelique versöhnlich. »Ich rede von Ehemännern.«
     
    Indessen hatte Pascha das Ende seiner Furche erreicht und lag nun auf einem Haufen welken Unkrauts, malerisch auf den Ellbogen gestützt und einen Grashalm zwischen den ebenmäßigen Zähnen. Der Wind zauste seine helle Mähne, die blauen Augen waren sanft und friedlich, doch ihr Blick drang nicht nach außen, als schaue Pascha nicht auf die Welt um sich herum, sondern in einen Spiegel.
    Angelique schritt über zwei Beetreihen und verharrte direkt in der Linie dieses blinden Blicks. Ihr Herz hämmerte so laut, dass zwei Elstern hoch oben am Himmel von ihrem Weg abkamen und mit empörtem Kreischen in eine völlig andere Richtung davonflogen. Paschas Gesicht zeigte keine Regung.
    Ich stehe hier wie blöd, mein Herz hämmert in die ganze Welt hinaus, und ihm ist das scheißegal. Es nahm ihr den Atem, und sie beschloss, den verhängnisvollen Schönen zu fliehen, so schnell sie konnte – durch die Gemüsegärten, über die Felder, vorbei an dem Müllhaufen, in dem ein räudiger Hund wühlte, über die sonnenwarme Brücke – und sich im Fluss zu ertränken.
    Allerdings hätte nicht einmal Minkin in der Bitjuga ertrinken können, selbst ihm reichte das Wasser nur bis zum Kinn.
    Angelique drehte sich um und ging auf einknickenden Beinen in die entgegengesetzte Richtung: dorthin, wo Pascha Matwejew auf dem Unkraut lümmelte.
    »Pascha«, rief sie mit versagender Stimme, als sie dicht vor ihm stand.
    »Ja?«, reagierte er, wobei er mit klarem, ruhigem Blick weiter durch sie hindurchsah.
    »Wollen wir runter zum Fluss?«
    »Keine Lust.«
    Angelique wartete ab, ob Pascha nicht wenigstens noch ein Wörtchen sagen würde, aber er würdigte sie nicht einmal eines Nickens. Vorsichtig ging sie um ihn herum, und als sie hinter ihm war, lief sie immer schneller, bis sie schließlich rannte, dass ihre Badelatschen klatschten.
    »Sie rennt wie eine Verrückte!«, sagten missbilligend die alten Frauen, die sich die Lebenszeit auf einem Baumstamm unterm Apfelbaum vertrieben.
    Der beleidigte Minkin, den die untreuen Fünftklässler wieder einmal abgehängt hatten, riss sich von der Betrachtung eines von Ameisen okkupierten Apfelgriebses los und schaute dem riesigen vorbeigaloppierenden Geschöpf nach – ob es vielleicht von Interesse war.
    »Sie hat sich schon wieder verknallt!«, schlussfolgerte die Verkäuferin Nina, die Sonnenblumenschalen von der hohen Ladentreppe spuckte. »Da rennt sie und muss es in der ganzen Gegend rumposaunen.«
    Minkin schloss, dass es hier um langweilige Erwachsenendinge ging, und wandte sich überlegen wieder seinen Ameisen zu.
    Inzwischen hatte Angelique das andere Ende des Dorfes erreicht, und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.
    Sicherheitshalber die Finger in der Tasche gekreuzt, betrat das Mädchen Fims Wundergarten. Anders als die meisten Frauen in

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