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Dummendorf - Roman

Dummendorf - Roman

Titel: Dummendorf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Mitino machte die leicht entflammbare Angelique, vom alten Jefim hartnäckig Anka genannt, keinen Bogen um diesen Ort. Auch sie hielt Fim für einen Hexer, aber neugierig, wie sie war, und süchtig nach allem Geheimnisvollen, ließ sie keine Gelegenheit aus, im Garten vorbeizuschauen.
    »Da kommt Anka wieder angetrabt mit ihrem Paschka!«, rief Jefim, der mit dem Rücken zu ihr auf seinem hölzernen Thron saß, fröhlich. »Wann gibst du endlich Ruhe?«
    »Was soll ich denn machen?«, jammerte Angelique und setzte sich vor Fim ins weiche Gras. »Er macht mich so schwach, dass ich Herzklopfen kriege! Ich kann ihn nicht ansehen! Solche Gefühle – ich könnte Berge versetzen – und alles vergeblich! Als Kind habe ich mal von der Rinderfarm eine Kanne Milch nach Hause geschleppt, und kurz vorm Ziel bin ich hingeknallt – und die ganzen drei Liter sind in den Staub geflossen. Ich hab mich hingesetzt und geheult – es tat mir so leid! Für die Melkerin, deren Mühe vergeblich war, für die Kuh, die vergeblich den ganzen Tag die Bremsen erduldet hatte, für die Blumen, die vergeblich in ihrem Bauch umgekommen waren, für die Sonne, die sie vom Frühjahr an vergeblich hatte wachsen lassen … Und mit Matwejew ist es genau das Gleiche.«
    »Nichts ist vergeblich.«
    »Aber er bemerkt mich ja nicht einmal! Er könnte mich haben, mit Haut und Haar – aber er will mich nicht einmal geschenkt! Ist das etwa nicht vergeblich – wenn er mich nicht nimmt?«
    »Auf ihn kommt es doch gar nicht an! Du hast dich in ihn verliebt und denkst Gutes über ihn, nicht?«
    »Meistens natürlich Schlechtes.«
    »Das lass sein, Kind. Hörst du? Das ist vergeudete Kraft! Milch in den Staub! Verstehst du?«
    »Hm.«
    »Du bist verliebt – also denk Gutes über ihn. Sonst hat das Ganze keinen Sinn. Weißt du, wie nützlich unsere guten Gedanken für andere sind? Sie lassen Harfen in der Seele erklingen. Er weiß gar nicht, warum ihn das Glück mit dem Flügel streift, doch es ist deine Zärtlichkeit, die ihn anweht. Ist das etwa schlecht?«
    »Für ihn ist das natürlich schön!«
    »Was willst du denn mehr?«
    »Dass es auch für mich schön ist!«
    »Na, dann ist es nur ein kurzer Hauch. Nicht der Rede wert. Das hast du morgen vergessen.«
     
    Ein wenig verärgert trabte Angelique davon. Es erbitterte sie, dass niemand ihre Herzenspein ernst nahm. Selbst die beiden Daschas – angeblich ihre besten Freundinnen! – verspotteten sie nur, indem sie alle paar Tage fragten, in wen sie denn heute verknallt sei.
    Unversehens stieß Angelique beinahe mit ihrem neuen Lehrer zusammen, der auf dem Weg saß und selbstvergessen Johannisbeeren von einem Strauch aß. Mitja sprang auf und wurde augenblicklich puterrot, als sei er bei sonst was ertappt worden.
    »Guten Tag«, sagte Angelique, ebenfalls ein wenig verwirrt. »Kriegen wir irgendwelche Hausaufgaben über den Sommer?«
    »Nein, nein, machen Sie nur Ferien«, antwortete Mitja, und seine Zunge verhedderte sich.
    »Das tue ich sowieso«, erwiderte das Mädchen, schon kühner. »Kommen Sie, begleiten Sie mich zur Gartenpforte. Ich will Ihnen was erzählen.«
    Mitja trottete hinter seiner Schülerin her und lauschte brav dem Bericht über Pascha. Angelique breitete vor dem unverhofften neuen Zuhörer die ganze Geschichte aus, angefangen von der Neujahrsdiskothek in der siebten Klasse, als sie sich das erste Mal in Pascha verknallt hatte.
    »Warum schweigen Sie?«, besann sich Angelique und unterbrach ihren Monolog. »Sagen Sie doch auch mal was. Raten Sie mir, was ich tun soll.«
    »Ich kenne mich in solchen Dingen nicht besonders aus«, murmelte Mitja.
    Sieht man!, dachte Angelique boshaft.
    »Vielleicht sollten Sie versuchen, Ihre Aufmerksamkeit auf andere junge Männer zu richten?«
    »Auf wen denn?!«, rief Angelique. Ob er sich selbst meinte? »In unserer Klasse gibt es nur drei. Sanja – ausgeschlossen, das hab ich versucht. Er ist zwar klug, aber so potthässlich, ein Schreckgespenst! Die Zähne krumm und schief, die dünnen Haare. Und Wassenka zählt nicht. Da könnte ich mich ja gleich in ein Lenindenkmal verlieben!«
    »Lenin?«
    »Na ja! Wassenka hat jetzt schon eine Halbglatze, bis zum letzten Schultag ist er bestimmt völlig kahl.«
    »Und wieso Denkmal?«
    »Na, haben Sie Lenin schon mal lebendig gesehen?«
     
    Das Gespräch mit dem Lehrer, der unter jedem ihrer Blicke errötete, hatte Angelique auch nicht befriedigt. Allerdings kam sie zu dem Schluss, dass Mitja heimlich in sie

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