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Dummendorf - Roman

Dummendorf - Roman

Titel: Dummendorf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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sein muss! Jeder nur für sich! Und lauter solche Scheiße! Sie sind genau wie alle! Und ich Idiot bin auf Sie reingefallen!«
    »Hör mal …«
    »Ich will nichts mehr hören! Überall nur Lüge!«
    Sanja rannte hinaus auf die Straße, und seine Beine trugen ihn wie von selbst zu Angelique.
    »Du bist meine ganze Hoffnung«, murmelte er, die glühende Stirn gegen ihren Zaun gepresst, der ihm in dieser Woche so vertraut geworden war. »Die Schönheit wird die Welt retten. Mein Engel, hörst du mich?«
    Aber Angeliques Fenster lag in freudlosem Dunkel. Sanja überwand seine Schüchternheit, stieß die Gartenpforte auf und ging die Treppe hinauf, dabei kam ihm vage ein Gedicht von Block in den Sinn. Erst kratzte er zaghaft an der Tür, dann klopfte er an.
    »Was denn jetzt schon wieder?« Angeliques Mutter streckte den Kopf heraus.
    Aus dem aufgedunsenen Gesicht schauten Sanja die in Fett schwimmenden, aber dennoch unverkennbaren Gazellenaugen seiner Geliebten an. Er wich zurück und wäre beinahe die vom Abendtau feuchten Stufen heruntergerutscht. Natürlich hatte er Tante Tatjana schon oft gesehen, aber jetzt erschreckten ihn plötzlich die schwabbeligen Wangen und das Doppelkinn.
    »Sie treibt sich sonstwo rum«, sagte sie gähnend und schloss die Tür.
    Das darf nicht sein, dachte Sanja entsetzt, während er die menschenleere Straße entlangtrottete. So eine Schweinefresse!
    Der gesunde Menschenverstand und die Logik, denen er sich gewöhnlich beugte, antworteten eisern: Doch, genau das erwartet sie. Alles in ihm sträubte sich und rebellierte:
    Nein! Ich werde nicht zulassen, dass diese fette Welt deine Schönheit verschlingt! Ich werde den Sinn finden! Ich werde dich retten!
    Angelique lachte hell auf. Sanja blieb wie angewurzelt stehen. Der Schatten eines alten Apfelbaumes verbarg ihn.
    »Warte, es geht noch weiter«, sagte der Busfahrer Wowka in anzüglichem Ton. »Leutnant Rshewski packt also Natascha Rostowa …«
    Angelique lachte wie aufgezogen. Sanja schlug die Arme um seinen Kopf und rannte davon.

SIEBZEHNTES KAPITEL
Zusammenbruch
    Lange Zeit später, als Mitja in der Lage war, über das Geschehene nachzudenken, staunte er darüber, dass alles auf einmal zusammengebrochen war, buchstäblich am selben Tag, als hätte alles am selben dünnen Faden gehangen.
    Im eisigen Regen, der über Nacht fast sämtliche Blätter von den Bäumen gefegt hatte, machte er sich an jenem Morgen auf den Weg zur Schule. Vor der Kirche fiel ihm ein schwarzes Auto auf, das er hier noch nie gesehen hatte. Natürlich konnte sonstwer bei Vater Konstantin zu Besuch sein, aber Mitja überkamen Unruhe und Sorge. Besonders, als er auf dem Hof die Billardkugelglatze des Rentners Gawrilow aufblitzen sah.
    Auf halbem Weg holte Mitja Jewdokija ein, die mit hohen Gummistiefeln durch den Schlamm stapfte.
    »Jemand von der Diözese ist da«, erklärte sie bitter. »Er hat erreicht, was er wollte, der alte Störenfried! Gut, dass Wassenka noch zur Schule geht, auch wenn ich ihn nicht mehr sehen kann, sonst würde sein Vater auch gegen uns hetzen. Wir können keine einzige Beschwerde gebrauchen, sonst machen sie uns sofort zu. Ach, ich würde so gern in Ruhe bis zur Rente durcharbeiten. Aber wie denn!«
    Die kleine Jewdokija winkte hoffnungslos ab und schluckte mal wieder ihre Tränen hinunter. Der Wind schlug ihren alten Schirm um, aus dem zwei rostige Speichen ragten. Mitja trat daneben und bekam Wasser in den Schuh. In seiner Seele wurde es stockdunkel.
     
    Auch in der Klasse herrschte Niedergeschlagenheit. Angelique nagte an ihren tiefroten Lippen und zog nervös an ihrer Jacke, die sich über der Brust nicht schließen ließ. Sie starrte auf die Schulbank und hasste die ganze Welt.
    Beide Daschas, betrübt über den Zustand der Freundin, saßen mit gesenktem Kopf da und gaben wirre Antworten. Wassenka paukte selbstvergessen für die bevorstehende Mathearbeit. Pascha betrachtete sein Spiegelbild im Fenster und legte sorgfältig seinen verrutschten Haarschopf zurecht. Sanja fehlte.
    Mitja brachte seine Stunden mehr schlecht als recht zu Ende, korrigierte langweilige Aufsätze, die die ganze Klasse schamlos bei Gawrilow junior abgekupfert hatte – der hatte es geschafft, Mitjas Monologe wörtlich mitzuschreiben –, und wollte nach Hause gehen. Zumal im Lehrerzimmer seit einer geschlagenen Stunde die heulende Angelique saß und er dort eindeutig fehl am Platz war.
    Plötzlich schob sich Wassenka seitlich zur Tür herein. Sein

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