Dummendorf - Roman
auf einen Sektierer! Nein danke. Das sagst du nur aus Neid, Vater. Euch Popen ist das Saufen ja streng verboten, oder? Na, hab ich recht?«
»Wieso verboten? Alles ist erlaubt. Aber nicht alles ist nützlich.«
»Toll! Ich soll also nicht trinken, aber ihr dürft alles!«
»Nein, Wowa«, erklärte Vater Konstantin müde und bedauerte unendlich, dass er sich auf dieses Gespräch eingelassen hatte. »Das ist ein Wort des Apostels Paulus, das geht jeden an, nicht nur die Geistlichkeit.«
»Das heißt, ich darf auch?!«, jubelte Wowa.
»Aber auch für dich ist es nicht nützlich.«
»Hm, das stimmt schon. Das bestreitet keiner«, stimmte Wowa ihm erleichtert zu und erzählte aufgeregt von seiner Vergiftung mit Fliegersprit, die, wie alles Wichtige in Wowas Leben, während seines Wehrdienstes passiert war.
In der ungeheizten kleinen Popenhütte angekommen, die in Größe und Baufälligkeit eher an einen Holzschuppen erinnerte, setzte sich Vater Konstantin, ohne seine Winterjacke auszuziehen, an den Tisch und schrieb in sein Tagebuch:
Was muss man tun, um das ewige Leben zu erlangen? Im Judäa des 1. Jahrhunderts lautete die Antwort: Gib alles fort, was du besitzt, und folge mir. Und das war zu viel verlangt. Im Russland des 21. Jahrhunderts lautet die Antwort: Trink wenigstens nur jeden zweiten Tag. Und auch das ist zu viel verlangt. Du verlangst immer zu viel. Kannst du nicht einfach sagen: So und so viele Kerzen?
Vater Konstantin betrachtete die mit Raureif überzogenen Wände seiner neuen Behausung, die gesprungene, mit Klebeband reparierte Fensterscheibe, das kahle Iljitsch-Lämpchen, das an einer langen Schnur herabbaumelte, und dachte, dass er nun allen Grund hätte, in Schwermut zu verfallen, wenn er nicht wüsste, dass auch sie nicht nützlich war.
Zur selben Zeit hielt Wowa auf der Treppe des Dorfladens eine Rede und schwenkte dabei eine angebrochene Flasche.
»Der gefällt mir nicht. Ein undurchsichtiger Typ. In die Kirche, sagt er, musst du nicht gehen, und trinken kannst du, soviel reinpasst. Obwohl das natürlich schädlich ist.«
»Vielleicht ist er – naja, fiktiv? Der Pope?«, fragte zweifelnd der düstere Pachomow, der einmal Traktorist gewesen war.
»Kann sein. Ich hab ihn nicht nach seinen Papieren gefragt.«
»Hättest du aber sollen!«, tadelte der Rentner Gawrilow, der gerade aus dem Laden trat. Jeder wusste, dass er ein Spitzel und Intrigant war.
Gawrilow trank nicht mit den Männern. Er trug sein Kilo Würstchen nach Hause.
»Woher sollte ich das wissen?«, gab Wowa bissig zurück, verärgert, weil er sich blamiert hatte. »Ich dachte, er trägt ein Kleid, also ist er Pope.«
»Nun mach schon, lass uns nicht warten«, unterbrach ihn der wortkarge Pachomow.
Wowa nahm einen hastigen Schluck, ächzte und reichte die Flasche weiter.
Am nächsten Morgen ging auch Vater Konstantin in den Laden. Er wollte etwas für seine unwohnliche Behausung besorgen. Jeder noch so kleine Gegenstand würde von menschlicher Anwesenheit in diesen freudlosen Wänden zeugen und es ihm leichter machen, sich am neuen Ort einzuleben. Eine Seifenschale, ein Becher, ein Besen.
Auf der Bank vorm Laden dösten, aneinandergelehnt, Wowas Gesprächspartner vom Vortag. Aus den furchterregend offen stehenden Mündern wallten Dampfwolken in die frostige Luft. Daran erkannte Vater Konstantin, dass sie lebten, obwohl sie, den kleinen Schneewehen auf Schultern und Köpfen nach zu urteilen, die ganze Nacht hier geschlafen hatten.
Im Laden war eine kleine Gruppe versammelt. Eine Verkäuferin mit violetten Löckchen auf dem Kopf schraffierte monoton die Kästchen in einem Kreuzworträtsel. Der Rentner Gawrilow wählte pedantisch gefrorene Hühnerfüße aus, mit denen er aus Gründen der Sparsamkeit seinen Hund fütterte. Neben ihm stand schwankend und sich an der Ladentheke festhaltend eine junge Frau in einer orangeroten Eisenbahnerweste – ein ungewöhnlicher Anblick zweihundert Kilometer vom nächsten Bahnhof entfernt.
»Komm schon, Opa, komm schon, alter Knacker«, sagte sie langsam und heiser. »Ich will doch keinen Wodka, ich will Brot. Kauf mir ein Brot, sei nicht so geizig. Ich hatte zwei Tage nichts zu beißen.«
Der Rentner Gawrilow schürzte angeekelt die Lippen und warf die bläulichen Hühnerfüße in eine Tüte.
»Naja, was kann man von dir schon erwarten, du lässt ja sogar deinen Bello bei gefrorenen Krallen darben«, spottete die junge Frau. Da bemerkte sie den neuen Kunden. »Heilige
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