Dummendorf - Roman
Gottesmutter, wen hast du uns denn da gesandt?«
Die Verkäuferin und der Rentner rissen sich von ihrer jeweiligen Beschäftigung los und starrten Vater Konstantin an.
»Ah, schon gehört, schon gehört«, Gawrilow reagierte sofort. »Wir lieben die Kirche und achten sie. An Feiertagen wird nicht geputzt und gekocht, da sitzen wir den ganzen Tag vorm Fernseher. Wie es sich gehört.«
»Heiliger Engel, spendier einer Witwe ein Viertelchen!«, rief die Frau in der Weste dazwischen.
»Ljubka, belästige ihn nicht!«, zischte die Verkäuferin.
»Wieso? Er muss doch den Armen helfen!«
»Vom wem bist du denn die Witwe?«, fragte der Rentner angriffslustig. »Von den sieben Tadschiken vom Sägewerk? Oder von den Irren aus dem Dorf? Aber die leben alle noch! Du läufige Füchsin!«
»Ich bin die Witwe aller Toten«, erwiderte Ljubka vielsagend und staunte selbst, wie schön sie das gesagt hatte.
Der Rentner Gawrilow bezahlte die Hühnerfüße, versprach Vater Konstantin, am Abend vorbeizuschauen, und entfernte sich gravitätisch.
Vater Konstantin betrachtete die Seilspulen, die Gartenscheren und die himmelblauen Galoschen in der Haushaltsabteilung und konnte sich nicht mehr erinnern, was er hier wollte.
»Ich höre«, wandte sich die Verkäuferin betont höflich an ihn.
»Brot bitte.«
»Und Spiele!«, fauchte Ljubka und tänzelte zur Illustration durch den Laden.
Vater Konstantin reichte ihr den feuchten Brotlaib. Ljubka blieb wie angewurzelt stehen, nur das unbotmäßige spöttische Lächeln irrte noch über ihr Gesicht.
»Für mich?«, hauchte sie verblüfft.
»Na, du hast doch darum gebeten.«
»Kaufen Sie ihr noch ein paar Würstchen«, riet die Verkäuferin. »Sie lebt nämlich wirklich nur von Sprit.«
Vater Konstantin verließ den Laden. Ljubka folgte ihm. Die Tüte mit den auf wundersame Weise empfangenen Lebensmitteln an die Brust gepresst, redete sie, wie es ihrer Vorstellung nach der Feierlichkeit des Augenblicks entsprach.
»Gott hat der Füchsin ein Stück Brot geschickt!«, rief Ljubka. »Aber ich glaube nicht an Gott. Ich glaube an die Menschen. An dich zum Beispiel. Du hast einer armen Witwe geholfen! So ist das Leben. Kaum hast du beschlossen zu sterben, da fällt – hopp! – ein Bissen vom Himmel! Leb weiter, Ljubka! Wie soll man da nicht an Gott glauben! Ich glaube! Ich schwör’s dir! Und du – du bist so wunderbar, du siehst aus wie ein Heiliger! Du bist nicht zufällig ein Heiliger?«
»Nein, Ljuba, ich bin ein gewöhnlicher Mensch.«
»Oh!« Ljubka war gerührt. »Lju-ba! Sag das noch mal! So nennt mich sonst keiner!«
Von Ljubkas Geschrei erwachten die Männer auf der Bank und regten sich.
»Ich hab doch gesagt – der ist fiktiv«, krächzte der düstere Pachomow. »Er lässt sich schon mit der Verrückten ein. Welcher anständige Mensch würde sich mit der abgeben? Einen Tritt in die Fresse – und ab!«
»Wo hat Wowa nur so rappeldürre Popen gesehen? Bei sich in der Armee etwa?« Sein Trinkkumpan Palytsch, der Mann der Schuldirektorin Jewdokija, rieb sich die Augen. »Ein Pope muss einen Bauch haben. Aber der hier! Ein Strich in der Landschaft! Der ist garantiert nicht echt!«
»Kommst du mit zu mir?«, Ljubka plapperte unentwegt. »Ich hab nämlich auch ein Haus! Die Fensterscheiben sind zwar kaputt, aber das Dach ist noch heil. Oder dürft ihr Geistlichen euch nicht mit Frauen einlassen? Ha-ha-ha! Sei nicht beleidigt! Ich mein ja nur, ich weiß doch Bescheid! Komm, sieh dir an, wie wir hier leben! Oder ekelst du dich?«
»Gehen wir.«
»Was denn, wirklich? Kein Witz? Zu mir? Zu Ljubka? Das ist ein Ding!«
Sie erreichten eine windschiefe Hütte. Vor der spaltbreit offenen Tür lag unberührter weißer Schnee. Ljubka hatte schon eine ganze Weile nicht mehr daran gedacht, dass sie ein Zuhause hatte.
»Wer hat dir denn die Fensterscheiben eingeschlagen?«, fragte Vater Konstantin.
»Ach, die Weiber!« Ljubka winkte fröhlich ab. »Weil ihre Kerle sich mit mir einlassen. Warum sollten sie nicht? Ich bin nicht sittenstreng! Eine Ehefrau dagegen, die ist wie eine Kreissäge, die sägt und sägt an seinen Nerven, bis sie sie durch hat.«
Mit Mühe drückten sie die angefrorene Tür auf und gingen hinein. Eine solche Verwüstung hatte Vater Konstantin noch nie gesehen, nicht einmal in den baufälligen Abrisshäusern, in denen er als Kind auf der Suche nach Schätzen herumgestreunt war.
Er stieg über Berge von Gerümpel und leeren Flaschen.
»Bisschen
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