Duncans Lady
die so offen waren, dass ihnen jeder vernünftige Gedanke abhanden gekommen ist.“
„Sie sind verletzt worden.“
„Gehört Gedankenlesen auch zu Ihren Fähigkeiten?“
„Nicht mehr als bei jedem anderen Menschen. Aber der Schmerz ist deutlich aus Ihren Worten herauszuhören. Hat Aprils Mutter Sie so verletzt?“
„Ich will jetzt nicht über mich reden.“
„Tun Sie das überhaupt jemals?“
„Was soll das heißen?“
„Vertrauen Sie sich jemals einem anderen Menschen an? Ich kann keine Gedanken lesen, aber ich wette, dass fast jeder, auf den Sie jemals gezählt haben, Sie irgendwann im Stich gelassen hat. Und das ist einer der Gründe, warum Sie aufgehört haben, an Dinge zu glauben, die Sie nicht mit eigenen Augen sehen können. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Sie Ihren eigenen Augen trauen.“
„Woher wussten Sie, dass Fergus sterben würde? Oder haben Sie einfach nur geraten? Denn das ist es, was ich glaube. Eine glückliche …“
„Für Fergus war es nicht glücklich.“ Sie sah ihm ins Gesicht.
Er hob die Schultern. „Unglückliche Vermutung.“
„Wollen Sie es wirklich wissen?“
Er wollte schon Ja sagen, doch dann dachte er noch einmal darüber nach. Hinter ihrer Frage steckte mehr, als es den Anschein hatte. Behutsam hatte sie ihn darauf hingewiesen, dass er mehr von ihr verlangte als eine einfache Erklärung. Er bat sie, ihm einen Teil von sich zu offenbaren.
„Würden Sie mir die Wahrheit sagen?“, fragte er.
„Das Lügen habe ich nie gelernt.“
Wollte er mehr über sie wissen? In diesem Moment begriff er, dass er bereits etwas wusste, was er nicht hatte wissen wollen. Mara MacTavish meinte es ernst. Sie mochte vielleicht verblendet sein, aber sie hatte nichts von Lisas Falschheit. Sie würde die Wahrheit nicht verdrehen, um sich das Leben zu erleichtern. Es spielte für sie keine Rolle, ob ihm ihre Erklärung gefiel oder nicht. Sie wollte ihm nur erzählen, was sie für die Wahrheit hielt.
Er beugte sich vor. „Sie glauben, Sie hätten das zweite Gesicht, nicht wahr? Darum geht es doch.“
Sie griff nach seiner Gabel und zog den Crumpet aus dem Feuer. „Ich weiß nicht, was ich habe, Duncan. Der Gabe ein Etikett zu verpassen, macht es nur für andere Menschen leichter, es zu akzeptieren oder zu verdammen. Ich selbst habe es nie verstanden. Ich weiß nur, dass ich viel zu oft die Zukunft sehen kann.“ Sie lächelte traurig. „Und meistens sehe ich nichts Gutes.“
5. KAPITEL
„Und Sie konnten schon als Kind die Zukunft sehen? Wollen Sie mir etwa sagen, dass Sie immer wissen, was als Nächstes geschehen wird?“
Mara nahm Duncan die Gabel aus der Hand und entfernte den Kuchen. Sie bestrich ihn mit Butter und legte ihn auf den Teller. „Wenn ich die Zukunft so klar sehen könnte, wäre ich jetzt reich und berühmt. Überlegen Sie mal, was für einen Erfolg ich an der Wall Street haben könnte.“
Er nahm den Teller entgegen, den sie ihm reichte. Seine Finger berührten ihre Hand, und ihre Blicke trafen sich. Ihre Augen waren von einer gleichmäßigen grünen Farbe, wie die Lichtquelle, die ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Verwirrt wandte er den Blick ab. „Was sehen Sie dann?“
„Viel mehr als ich will.“
Sie stand auf, um den Tee einzuschenken und reichte ihm eine Tasse. Sie setzte sich wieder und presste sich ihren Becher an die Brust, als suchte sie Wärme. Er stellte fest, dass sie zitterte. „Ich war noch ein kleines Kind, als ich feststellte, dass das, was für mich ganz einfach war, für andere unmöglich war. Zuerst taten meine Eltern das, was ich sagte, als kindliches Geplapper ab. Aber als ich vier war, erzählte ich ihnen, dass unser Nachbar einen Unfall hatte. Meine Mum dachte, ich hätte jemanden darüber reden gehört, und ging hinüber, um ihre Hilfe anzubieten. Natürlich war nichts geschehen, und es war ihr furchtbar peinlich, dass ich gelogen hatte. Aber am nächsten Tag passierte der Unfall tatsächlich, genauso, wie ich ihn gesehen hatte. Ich war noch zu klein, um den Unterschied zu erkennen zwischen dem, was ich in meinem Kopf sah und dem, was ich mit meinen Augen wahrnahm. Für ein Kind sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fast dasselbe.“
Alles, was Mara sagte, klang in Duncans Ohren wie eine Beleidigung seines gesunden Menschenverstandes, doch er konnte nicht leugnen, dass sie es vollkommen ernst meinte. Sie glaubte eindeutig, ihre Geschichte sei wahr. „Was haben Ihre Eltern dann gemacht?“
„Ich habe ihnen
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