Duncans Lady
hin. Schon seit Jahren hatte er die Dorfkirche nicht mehr von innen gesehen. Seine Mutter ging manchmal zum Gottesdienst, aber seine Familie war nicht sonderlich religiös. Er versuchte, sich an ein Gebet zu entsinnen. Es musste doch irgendein Gebet geben!
Doch er konnte sich ebenso wenig an ein Gebet erinnern wie daran, wo er seinen Regenmantel gelassen hatte. Taumelnd kam er auf die Füße, das Gesicht immer noch mit den Händen bedeckt. Dann drehte er sich um und floh. Auf halber Strecke die Böschung hinauf rannte er gegen einen Baum. Er nahm die Hände vom Gesicht und stolperte weiter. Schließlich öffnete er die Augen und erwartete, dem Tod ins Gesicht zu blicken. Die Frau war nur wenige Meter entfernt. Obwohl ihn die größte Furcht gepackt hatte, die er je erlebt hatte, sah er, wie schön sie war.
Sie streckte eine Hand aus und schien immer wieder die Luft vor sich zu streicheln.
Sie wollte ihn warnen.
Jamie war sich nicht sicher, woher er die Absichten des Geistes kannte. Aber in dem Moment, in dem er begriff, dass er nicht näher kommen durfte, verschwand sie. Er rieb sich die Augen und spähte in die Dunkelheit, aber die Lady aus Licht war verschwunden.
„Peter!“ Er kam wieder auf die Beine und stieg die Anhöhe hinauf. „Peter!“
„Hier bin ich, du Idiot!“ Sein Bruder tauchte aus der Dunkelheit auf. „Was hast du hier zu suchen, wenn du doch am Bach sein solltest?“
Jamie erzählte ihm, was er gesehen hatte. Zumindest versuchte er es. Die Worte kamen ihm nicht über die Lippen. Er stotterte und stammelte. Aber als Peter versuchte, sich an ihm vorbeizuschieben, packte er ihn am Arm. „Du kannst da nicht lang, Peter. Das hat sie gesagt.“
„Gesagt? Gar nichts hat sie gesagt. Sie war ja noch nich’ mal da! Du hast zuviel Whiskey und zuviel Regen abbekomm’n!“ Er schüttelte Jamies Arm ab und begann, den Hügel hinabzusteigen.
„Peter! Geh nich’ da lang!“
Aber Peter war bereits im Regen verschwunden. Noch während Jamie ihm hinterhersah, wurde sein Bruder von der Dunkelheit verschluckt.
Jamie überlegte nicht lange. Im Laufschritt machte er sich auf den Weg zurück zur Straße. Er war plötzlich wieder vollkommen nüchtern. Nüchtern und entschlossen. Er würde nicht in dem Wäldchen bleiben, und wenn man ihm den gesamten schottischen Whiskey dafür gäbe. Es tat ihm leid, dass Peter nicht auf ihn gehört hatte. Aber sein Bedauern war nicht so groß, dass er ihm folgen würde, in der Hoffnung, ihn doch noch zu überreden.
Er war der Denker und Peter der Macher. Und jetzt dachte er, dass er in allernächster Zukunft ein vernünftiger Mann werden und regelmäßig in die Kirche gehen würde.
8. KAPITEL
Der gesamte Mai war stürmisch gewesen, aber keine Nacht wurde so bedrohlich wie die nach Aprils Geburtstagsfeier. Der Bach, der sich träge aus den Bergen an Druidheachd entlang schlängelte, war rasch angeschwollen und stürzte durch das felsige Bett hinab, das ihn einschloss, bis aus dem friedlichen Gewässer ein reißender Strom geworden war.
Peter Gordon hatte wilde Geschichten über den Bach erzählt, von Holzstämmen, die an ihm vorbeirauschten, während er sich im eiskalten Wasser an eine Wurzel klammerte; Geschichten von Gebeten und Versprechen, die er gegeben hatte. Sein Bruder Jamie hatte sich den langen Weg über die Straße nach Hause geschleppt und dann festgestellt, dass Peter noch nicht angekommen war. Daraufhin hatten die Dorfbewohner rasch einen Rettungstrupp zusammengestellt und Peters Spur auf dem Feld gefunden, auf das Jamie und sein Bruder abgebogen waren. Gerade noch rechtzeitig hatten die Männer den Bach erreicht und Peter aus den Fluten gerettet.
Die Wassermassen hatten noch weitere Schäden angerichtet. Ein Cottage war unterspült worden, ein Auto stand fast bis zum Dach unter Wasser, Schafe und Kühe waren auf felsigen Anhöhen gefangen und Lämmer ertranken.
Doch der Dorftratsch in Druidheachd drehte sich nur am Rande um die Überschwemmungen. Hochwasser kamen und gingen, und es war traurig, dass manche Leute dumm genug waren, bei so einem Wetter aus dem Haus zu gehen. Viel interessanter dagegen war die Vision, von der der junge Jamie Gordon schwor, er habe sie gesehen. Ein Geist habe ihn gewarnt, sich vom Bach fernzuhalten.
„Inzwischen haben sie sogar einen Namen für sie gefunden“, erzählte Andrew eines Nachmittags, als Duncan mit ihm zusammen vor seinem Haus saß. „Ein Rechtsanwalt aus Perthshire, der ein Sommerhäuschen am See hat,
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