Dune 01: Der Wüstenplanet
hergeben.«
»Sire!« stieß Kynes hervor, und der Tonfall, in dem er dieses eine Wort hervorbrachte, zeigte Jessica, daß er ihren Sohn nicht mehr als fünfzehnjährigen Jungen, sondern als das betrachtete, was er war: ein Mann, ein Vorgesetzter. Alle Amüsiertheit war aus seiner Stimme gewichen.
In diesem Augenblick würde er ebenfalls sein Leben für Paul hingeben, dachte sie. Wie gelingt es den Atreides nur, die Menschen so leicht und schnell für sich einzunehmen?
»Ich weiß, daß das Ihr Ernst ist«, sagte Kynes jetzt. »Aber die Harkonn...«
Die Tür hinter Pauls Rücken flog auf. Er warf sich herum, sah Waffen blitzen, hörte aufgeregtes Geschrei und sah verzerrte Gesichter hinter der Schwelle.
Mit seiner Mutter neben sich eilte Paul zu der Tür, wo Idahos Körper als letztes Bollwerk den Zugang zu Kynes' Büro versperrte. Er hatte den Schildgürtel aktiviert und klammerte sich mit letzter Kraft an der Türfüllung fest, während klauenartige Hände dem Schild mit schweren Axthieben zusetzten. Der Strahl eines Lähmers leuchtete auf.
Dann war Kynes auch schon neben ihm, und mit einem letzten Blick auf Idahos blutiges Gesicht warfen sie sich gemeinsam mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Tür. Draußen wimmelte es von Männern in den Uniformen der Harkonnens. Dann war die Tür zu. Kynes verriegelte sie rasch.
»Ich glaube, ich habe mich entschieden«, sagte er.
»Irgend jemand hat Ihre Maschinen geortet, bevor sie abgestellt wurden«, sagte Paul und zog seine Mutter von der Tür fort. Er sah die Verzweiflung in ihren Augen.
»Ich hätte mißtrauisch werden müssen, weil der Kaffee nicht kam«, meinte Kynes.
»Der Raum hat einen weiteren Ausgang«, stellte Paul fest. »Ist er benutzbar?«
»Die Eingangstüre«, schnaufte Kynes, »wird mindestens zwanzig Minuten halten. Es sei denn, sie setzen eine Lasgun ein.«
»Sie werden sie so lange nicht einsetzen, wie sie nicht wissen, ob wir hier drinnen einen Schild aufgestellt haben«, meinte Paul.
»Es waren Sardaukar in Harkonnen-Uniformen«, flüsterte Jessica.
Schwere Schläge donnerten von außen gegen die Tür. Sie kamen in rhythmischen Abständen.
Kynes deutete auf die Regale an der rechten Wand und sagte: »Hierher.« Er schob etwas beiseite, langte mit der Hand hinein und betätigte eine Schaltung. Das ganze Regal schwang plötzlich zur Seite und gab den Blick auf einen dunklen Tunnel frei, dessen Eingangstür ebenfalls aus Plastahl bestand.
»Sie waren gut vorbereitet«, meinte Jessica.
»Wir haben achtzig Jahre unter den Harkonnens gelebt«, erklärte Kynes. Er führte sie in die Dunkelheit hinein und schloß die Tür hinter sich.
In der Finsternis erkannte Jessica einen auf dem Boden liegenden, leuchtenden Pfeil.
Hinter ihr sagte Kynes: »Wir werden uns hier trennen. Diese Tür ist massiver, sie wird mindestens eine Stunde lang die Leute aufhalten. Folgen Sie den Pfeilen, die Sie auf dem Boden sehen. Sobald Sie sie passiert haben, werden sie wieder verlöschen. Sie werden durch ein Labyrinth zu einem anderen Ausgang geführt, wo ein Thopter steht. Heute nacht ist mit einem Sturm über der Wüste zu rechnen. Sie können nur darauf hoffen, ihn zu durchdringen und sich in ihm verborgen zu halten. Meine Leute haben das oft getan, wenn sie in gestohlenen Maschinen unterwegs waren. Wenn Sie es schaffen, in den obersten Luftschichten des Sturms zu bleiben, kann Ihnen nichts passieren.«
»Und was ist mit Ihnen?« fragte Paul.
»Ich versuche, auf einem anderen Weg zu entwischen. Wenn sie mich dennoch schnappen ... nun, immerhin bin ich der Planetologe des Imperators. Ich kann immer noch behaupten, Ihr Gefangener gewesen zu sein.«
Wir rennen wie Feiglinge, dachte Paul. Aber wie anders kann ich überleben, um meinen Vater zu rächen?
Er wandte sich um, warf einen Blick auf die Tür.
Jessica, die seine Bewegung gesehen hatte, sagte: »Duncan ist tot, Paul. Du hast seine Wunden selbst gesehen. Wir können jetzt nichts mehr für ihn tun.«
»Dafür werden sie eines Tages bezahlen«, erwiderte Paul.
»Nicht, wenn Sie sich jetzt nicht beeilen«, drängte Kynes.
Paul fühlte seine Hand auf der Schulter.
»Wo werden wir uns wiedersehen, Kynes?« fragte er.
»Ich werde dafür sorgen, daß die Fremen Sie suchen. Die Richtung, in der sich der Sturm bewegt, ist bekannt. Beeilen Sie sich jetzt. Möge die Große Mutter sie mit Schnelligkeit und Glück ausstatten.«
Sie hörten, wie er verschwand, als leises Rascheln in der Finsternis.
Jessica
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