Dune 01: Der Wüstenplanet
Er öffnete die Augen wieder.
»Und du hast diesem Mädchen all das erzählt, was erst heute hier geschehen ist?«
Paul dachte eine Weile nach und sagte dann: »Ja. Ich erzählte ihr, daß die Ehrwürdige Mutter da war und auf irgendeine seltsame Weise einen Einfluß auf mich ausübte.«
»Einen Einfluß«, keuchte die alte Frau. Erneut warf sie Jessica einen Blick zu und konzentrierte sich wieder auf Paul.
»Sag mir die Wahrheit, Paul: Hast du öfter solche Träume, in denen du Dinge siehst, die sich erst später ereignen?«
»Ja. Und von diesem Mädchen habe ich schon vorher geträumt.«
»Wirklich? Du kanntest sie schon?«
»Ich werde sie kennenlernen.«
»Erzähle mir von ihr.«
Wieder schloß Paul die Augen. »Wir sitzen irgendwo in der Geborgenheit einiger Felsen. Obwohl es Nacht ist, ist es sehr heiß, und irgendwo in einer Felsenöffnung erkenne ich Sand. Wir ... warten auf etwas ... offenbar auf einige andere Leute. Das Mädchen hat Angst, versucht aber, die Furcht vor mir zu verbergen. In mir herrscht Spannung. Sie sagt zu mir: ›Erzähle mir von den Wassern deines Heimatplaneten, Usul.‹« Paul öffnete die Augen und meinte: »Ist das nicht komisch? Mein Heimatplanet ist doch Caladan. Und von einer Welt namens Usul habe ich noch niemals gehört.«
»Geht der Traum noch weiter?« stieß Jessica hervor.
»Ja. Vielleicht hat sie mit dem Wort ›Usul‹ auch mich gemeint. Jedenfalls kann ich es mir vorstellen.« Erneut schloß er die Augen. »Sie fragt mich, ob ich ihr nicht von den Wassern erzählen kann, also nehme ich ihre Hand und trage ihr ein Gedicht vor. Ich sage es auf und muß ihr dabei einige Ausdrücke erklären, die sie nicht kennt. Wie ›Strand‹ und ›Brandung‹ und ›Tang‹ und ›Möwen‹.«
»Was ist das für ein Gedicht?« fragte die Ehrwürdige Mutter.
Mit geöffneten Augen erwiderte Paul: »Nur eines der Gedichte, die Gurney Halleck für traurige Zeiten gemacht hat.«
Hinter Pauls Rücken begann Jessica zu rezitieren:
»Ich erinnere mich an salzigen Rauch
von Feuern,
die brennen am Strand.
Und Schatten unter den Pinien.
Möwen schweben über die Landzunge dahin,
weiß über dem Grün ...
Ein Wind geht durch die Bäume,
die Schatten vertreibend.
Die Möwen breiten die Schwingen aus
und steigen auf.
Sie füllen den Himmel
mit schrillem Geschrei.
Und ich höre den Wind,
wie er bläst über das Land,
und die Brandung.
Und ich sehe das Feuer,
das den Seetang verbrennt.«
»Das ist es«, nickte Paul.
Die alte Frau sah ihn an und sagte dann: »Junger Mann, als Sachwalter der Bene Gesserit suche ich nach dem Kwisatz Haderach, jenem Mann, der einer der unsrigen ist. Deine Mutter ist der Ansicht, daß du dieser Mann sein könntest, aber sie sieht dies durch die Augen einer Mutter. Die Möglichkeit sehe ich sehr wohl auch – aber nicht mehr.«
Sie schwieg, und Paul merkte ihr an, daß sie ihn mit ihrem Schweigen aufforderte, dazu etwas zu sagen, aber er blieb stumm.
Schließlich sagte die alte Frau: »Nun gut, wie du willst. Es ist Tiefe in dir; das ist mir klar.«
»Kann ich jetzt gehen?« fragte Paul.
»Willst du nicht hören, was dir die Ehrwürdige Mutter über den Kwisatz Haderach erzählen will?« fragte Jessica.
»Sie sagte mir bereits, daß diejenigen, die es versuchten, der Kwisatz Haderach zu sein, versagten und starben.«
»Aber ich kann dir einige Hinweise über den Grund ihres Versagens geben«, warf die Ehrwürdige Mutter ein.
Sie redet von Hinweisen, dachte Paul. Und im Grunde weiß sie gar nichts. Laut sagte er: »Dann gebt sie mir.«
Ein dünnes Lächeln huschte über die Züge der alten Frau. »Na gut: Es gilt, sich den Regeln zu unterwerfen.«
Paul war verblüfft. In welch banalen Begriffen sie redete! Nahm sie etwa an, daß seine Mutter ihn überhaupt nichts gelehrt hatte?
»Und das soll ein Hinweis gewesen sein?« fragte er.
»Wir sind nicht hier, um Haarspalterei zu betreiben oder über die Bedeutung von Worten zu debattieren«, erwiderte die Ehrwürdige Mutter. »Die Weiden unterwerfen sich dem Wind so lange, bis sie so zahlreich und kräftig geworden sind, daß sie sich ihm entgegenstellen können wie eine Mauer. Das ist ihr Daseinszweck.«
Paul starrte sie an. Sie hatte einen Zweck erwähnt, und das erinnerte ihn daran, daß all dies einem anderen dienen sollte. Er fühlte, wie der Ärger in ihm hochstieg, wie er sich auf die alte Frau konzentrierte, die in seiner Anwesenheit nichts als Binsenweisheiten von sich gab.
»Ihr
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