Dune 01: Der Wüstenplanet
gehörte Harah, der zweiten Frau aus Pauls Familie.
»Ja, Harah.«
Der Vorhang teilte sich, und Harah glitt zu ihr herein. Sie trug Sietch-Sandalen, ein rotgelbes Wickelkleid, das ihre Arme bis zu den Schultern freiließ; ihr Haar war in der Mitte gescheitelt und fiel in weichen Wellen nach hinten über ihren Nacken. Über ihren Zügen lag ein besorgter Ausdruck.
Hinter ihr erschien Alia, das Mädchen von zwei Jahren.
Jessica fühlte sich ganz plötzlich an Paul erinnert, der in diesem Alter ganz ähnlich ausgesehen hatte. Auch Alia hatte diesen schweifenden, ernsten Blick, der ständig zu fragen schien, das dunkle Haar und einen festen Mund. Aber es gab auch einige Unterschiede zwischen Alia und Paul – und sie waren es, die die anderen Erwachsenen beunruhigten. Das Mädchen – kaum dem Krabbelalter entwachsen – bewegte sich mit einer Selbstsicherheit und Kühle, die ungewöhnlich war. Und am meisten schockierte es die Leute, daß die Kleine in der Lage war, sexuelle Anspielungen und Witze zu verstehen und darüber zu lachen. Und sie machte selbst Bemerkungen in ihrer halb lispelnden Sprache, die ihnen deutlich zeigte, daß sie nicht die Phase, in der sich Kinder ihrer Altersgruppe zu befinden pflegten, durchlief, sondern geistig längst alle Gleichaltrigen hinter sich gelassen hatte.
Harah ließ sich seufzend auf ein Sitzkissen fallen und sah das Kind mit gerunzelter Stirn an.
»Alia.« Jessica winkte ihre Tochter heran.
Das Kind durchquerte den Raum, kletterte auf ein neben Jessica stehendes Sitzkissen, schwang sich hinauf und grabschte nach ihrer Hand. Der körperliche Kontakt führte zu der geistigen Wachsamkeit, die sie beide bereits geteilt hatten, bevor Alia das Licht der Welt erblickt hatte. Es hatte nichts mit gemeinsam gedachten Gedanken zu tun, wie es während der Zeremonie, bei der Jessica das Gewürzgift einer anderen Bestimmung zugeführt hatte, passiert war. Es war etwas Größeres, das sie jetzt verband, die Gewißheit der Anwesenheit eines anderen Lebewesens, mit dem man total eins war.
In der formalen Weise, die einer Angehörigen des Haushalts ihres Sohnes zukam, sagte Jessica: »Subakh al kuhar, Harah. Dieser Abend findet dich wohl?«
Mit dem gleichen traditionellen Formalismus erwiderte Harah: »Subakh un nar. Mir geht es gut.«
Ihre Worte waren ohne Betonung. Und wieder stieß Jessica einen Seufzer aus.
Alia schien amüsiert zu sein.
»Die Ghanima meines Bruders ärgert sich über mich«, sagte sie in ihrem Halblispeln.
Jessica registrierte das Wort, mit dem Alia Harah belegt hatte: Ghanima. In der Umgangssprache der Fremen bezeichnete man damit einen »in einer Schlacht erbeuteten Gegenstand«, allerdings mit dem Gesichtspunkt, daß dieser nicht mehr seiner ursprünglichen Bedeutung gemäß verwendet wurde. Etwa wie eine Speerspitze, die man dazu benutzte, einen Vorhang zu beschweren.
Harah warf Alia einen finsteren Blick zu. »Versuche nicht, mich zu beleidigen, Kind. Ich weiß, wo ich hingehöre.«
»Was hast du diesmal wieder angestellt, Alia?« fragte Jessica.
Harah erwiderte: »Sie hat sich nicht nur geweigert, heute mit den anderen Kindern zu spielen, sondern sie versuchte auch noch in den Raum einzudringen, in dem ...«
»Ich habe mich hinter einem Vorhang verborgen und zugesehen, wie Subiays Kind geboren wurde«, erklärte Alia. »Es ist ein Junge, und er schrie und schrie immerzu. Muß der große Lungen haben! Und als er eine ganze Weile geschrien hatte ...«
»... kam sie heraus und berührte ihn«, schloß Harah. »Und da hörte er auf zu schreien. Obwohl jeder weiß, daß ein Fremen-Kind nach der Geburt so lange schreien soll, wie es kann, denn es erhält im späteren Leben niemals wieder Gelegenheit dazu, weil es sonst unseren Hajr verhindert.«
»Er hatte genug geschrien«, entschied Alia. »Ich wollte nur sein Zipfelchen berühren und sein Leben fühlen, das ist alles. Und als er mich fühlte, wollte er einfach nicht mehr schreien.«
»Es wird nur dazu herhalten, daß die Leute noch mehr über dich reden werden«, sagte Harah.
»Ist Subiays Junge gesund?« fragte Jessica. Sie glaubte zu erkennen, daß irgend etwas Harah Sorgen bereitete und sie verwirrte.
»So gesund, wie es sich eine Mutter nur wünschen kann«, erwiderte Harah. »Sie wissen, daß Alia ihm nicht weh getan hat. Sie schienen nicht einmal etwas dagegen zu haben, daß sie ihn berührt hat. Er war sofort ruhig und schien glücklich zu sein. Es war ...« Harah zuckte mit den Achseln.
»Es
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