Dune 01: Der Wüstenplanet
ist die Fremdartigkeit des Verhaltens meiner Tochter, nicht wahr?« warf Jessica ein. »Es liegt daran, daß sie über Dinge spricht, die Kinder ihres Alters gemeinhin noch nicht wissen. Dinge aus der Vergangenheit.«
»Woher kann sie wissen, wie die Kinder auf Bela Tegeuse ausgesehen haben?« wollte Harah wissen.
»Es stimmt aber!« rief Alia aus. »Subiays Junge sieht aus wie der Junge, den Mitha bekam – vor der Teilung.«
»Alia!« sagte Jessica. »Ich habe dich gewarnt.«
»Aber, Mutter, ich sah es, und es stimmt, und ...«
Jessica schüttelte den Kopf und sah die Anzeichen der Verwirrung in Harahs Gesicht. Was habe ich da geboren? fragte sie sich. Eine Tochter, die bereits bei der Geburt das gleiche Wissen besaß wie ich ... und noch mehr: sie weiß auch alles, was die Ehrwürdigen Mütter, deren Wissen in mir ist, gewußt haben.
»Es geht nicht nur um die Dinge, die sie sagt«, wandte Harah ein. »Auch die Übungen, die sie macht: die Art, in der sie dasitzt und einen Felsen anstarrt und nur einen einzigen Nasenmuskel bewegt. Oder einen Fingermuskel oder ...«
»Dabei handelt es sich um das Bene-Gesserit-Training«, erklärte Jessica. »Das weißt du, Harah. Würdest du meiner Tochter dieses Erbe verweigern?«
»Ehrwürdige Mutter, du weißt, daß diese Dinge mich persönlich nicht stören«, verteidigte sich Harah. »Aber es geht hier um die Leute und die Art, in der sie sich das Maul zerreißen. Ich sehe darin eine Gefahr. Sie sagen, deine Tochter sei ein Dämon, weil andere Kinder sich weigern, mit ihr zu spielen. Sie sei ein ...«
»Sie hat eben keine Gemeinsamkeiten mit den anderen Kindern«, sagte Jessica. »Und sie ist kein Dämon. Es ist nur ein ...«
»Natürlich ist sie das nicht!«
Jessica fühlte sich von der Stärke in Harahs Tonfall ziemlich überrascht und schaute kurz Alia an. Das Kind erschien ihr im Moment gedankenverloren und strahlte etwas aus, das nach ... Abwarten aussah. Dann sah sie wieder Harah an.
»Ich respektiere die Tatsache, daß du ein Mitglied des Haushalts meines Sohnes bist«, erklärte sie (Alia drückte gegen ihre Hand). »Und du kannst offen über alles sprechen, was dir Sorgen bereitet.«
»Ich werde bald kein Mitglied des Haushalts deines Sohnes mehr sein«, erwiderte Harah. »Ich habe nur deswegen so lange bei ihm gelebt, weil er für meine Söhne sorgte und ihnen eine Ausbildung ermöglichte, die eben nur die Kinder eines Usul erhalten. Mehr konnte ich ihnen leider nicht geben, denn jedermann weiß, daß ich nicht das Bett deines Sohnes teile.«
Erneut regte sich Alia neben ihr, halb schlafend und warm.
»Du wärest dennoch eine gute Gefährtin für meinen Sohn geworden«, sagte Jessica. Und tief in ihrem Innern fügte sie für sich selbst hinzu: Gefährtin ... aber keine Gemahlin. Ein Schicksal, das sie selbst geteilt hatte. Und das führte sie zum Hauptproblem, zu dem, was man bereits seit längerem im Sietch erzählte: daß Paul mit Chani zusammen war und ob sie seine Frau werden würde.
Ich liebe Chani, dachte Jessica, aber sie dachte im gleichen Atemzug daran, daß auch die Liebe im Leben eines Adeligen eine Nebenrolle zu spielen hatte. Hochzeiten zwischen Adeligen hatten andere Gründe, Liebe kam dabei nicht vor.
»Glaubst du, ich wüßte nicht, welche Pläne du mit deinem Sohn hast?« fragte Harah.
»Was meinst du damit?« wollte Jessica wissen.
»Du planst, die Stämme unter seiner Führung zu vereinigen«, erwiderte Harah.
»Und was ist schlecht daran?«
»Ich sehe Gefahren für ihn ... Und Alia ist ein Teil dieser Gefahr.«
Alia schmiegte sich enger an ihre Mutter, öffnete die Augen und sah Harah aufmerksam an.
»Ich habe euch beide beobachtet«, fuhr Harah fort. »Die Art, in der ihr euch berührt. Und Alia steht mir sehr nahe, weil sie die Schwester eines Mannes ist, der zu mir ist wie ein Bruder. Ich habe auf sie achtgegeben und sie beschützt, seit sie ein Säugling war, seit jener Razzia, nach der wir hierher fliehen mußten. Und ich habe viel über sie herausgefunden.«
Jessica nickte und fühlte, wie das Unbehagen in der neben ihr sitzenden Alia wuchs.
»Du weißt, was ich meine«, fuhr Harah fort. »Sie hat von Anfang an jedes Wort verstanden, das man ihr sagte. Hat es jemals ein anderes Baby gegeben, das in so jungen Jahren schon die Regeln der Wasserdisziplin einhalten konnte? Und was sind in der Regel die ersten Worte, die ein Kind derjenigen, die es aufzieht, entgegenbringt? Etwa ›Ich liebe dich, Harah‹?«
Harah
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