Dune 02: Der Herr des Wüstenplaneten
steinernen Gitterwerk, das einen Balkon seines privaten Quartiers verbarg. Das mußte Chani sein. »In der Wüste nach Sand jagen«, hatte sie dieses Unternehmen genannt.
Wie wenig sie die bittere Wahl verstand. Die Wahl zwischen Qualen, dachte er, machte selbst geringere Schmerzen nahezu unerträglich.
Für die Dauer eines verschwommenen, emotional schmerzhaften Moments erlebte er von neuem ihren Abschied. Im letzten Augenblick hatte Chani einen flüchtigen Einblick in seine Gefühle gewonnen, hatte sie jedoch falsch interpretiert. Sie hatte geglaubt, seine Empfindungen seien von einer Art, wie Liebende sie erlebten, wenn einer von ihnen einen gefährlichen Weg ins Unbekannte antrat.
So wäre es, wenn ich nicht wüßte, dachte er.
Er hatte die Brücke hinter sich und betrat den oberen Korridor des Verwaltungsgebäudes. Die Räume waren beleuchtet, Leute eilten hin und her. Das Qizarat schlief niemals. Pauls Aufmerksamkeit wurde von den Türschildern gefangengenommen, als sähe er sie das erste Mal: Kontrolle der Prophetie. Glaubensprüfung. Glaubensverbreitung. Religiöse Versorgung. Missionsunterstützung. Militärbetreuung ... »Verbreitung der Bürokratie« wäre ein ehrlicheres Etikett, dachte er.
Überall in seinem Universum war ein religiöser Beamtenapparat entstanden. Seine Mitglieder waren häufig Konvertiten, Opportunisten und Karrieremacher bildeten eine starke Fraktion, die zwar noch nicht in die Schlüsselpositionen vorgedrungen war, aber alle Zwischenräume ausfüllte. Dieser neue Priestertyp nahm Melange nicht nur wegen der lebensverlängernden Wirkung der Droge, sondern mindestens ebenso sehr, um zu zeigen, daß er sie sich leisten konnte. Seinem Herrscher stand er indifferent gegenüber; seine wahren Götter waren Formulare und Vorschriften, seine Herrschaftsinstrumente Akten und umfangreiche Ablagesysteme. Effizienz war das erste Wort in seinem Katechismus, und obwohl er der offiziellen Lehre mit häufigen Lippenbekenntnissen huldigte und verkündete, daß Maschinen nicht nach dem Bild des menschlichen Geistes gemacht werden dürften, verriet er mit jeder Handlung, daß er Maschinen den Menschen vorzog, Statistiken höher schätzte als Individuen und die distanziert-allgemeine Übersicht ebenso liebte, wie er das Bemühen um die Probleme von Einzelpersonen verabscheute, erforderte es doch lästige Initiative, Mitgefühl und Phantasie.
Als Paul das Gebäude durch den Seiteneingang am anderen Ende verließ, hörte er die Glocken zum Abendritus in Alias Tempel rufen.
Dieser Glockenklang vermittelte ein komisches Gefühl von Beständigkeit.
Der Tempel auf der anderen Seite des belebten Platzes war neu, sein Ritual erst in jüngster Zeit erfunden, aber der windgetriebene Sand hatte bereits damit begonnen, Stein und Kunststoff von Mauern und Plastiken zu zerfressen. Die mehr zufällige, dem jeweiligen Raumbedürfnis entsprungene Art und Weise, wie rings um den Tempel andere Gebäude hochgezogen worden waren, trug zu dem Eindruck bei, daß dies ein sehr altes Heiligtum voll von Traditionen und Geheimnissen sei.
Er war jetzt draußen auf dem Platz, mitten im Gedränge der Menschen. Der einzige Führer, den seine Sicherheitsabteilung hatte finden können, hatte darauf bestanden, daß es so gemacht werden müsse. Paul hatte bereitwillig zugestimmt zu Stilgars und Chanis Mißvergnügen.
Die Leute um ihn her, auch wenn sie ihn gelegentlich streiften oder gar anstießen, sahen ihn kaum an, drängten weiter. Zum erstenmal seit langer Zeit fühlte er sich wirklich unbeachtet, als einer unter vielen. Er hatte plötzlich jede Bewegungsfreiheit. Was er tat und wohin er ging, interessierte niemand.
Als er sich im Strom der Gläubigen zu den Tempelstufen bewegte, nahm das Geschiebe und Gedränge noch zu; Paul fühlte sich von allen Seiten angerempelt, bekam Püffe und Tritte auf die Zehen und wurde sich mit Unbehagen der unkalkulierbaren Gefahr bewußt, in die er sich hier, eingekeilt in die Masse der Leiber, ohne seinen Willen, aber auch ohne Vernunft begeben hatte.
Dieses Gefühl von erdrückender Beengung und Attentatsfurcht verlor sich rasch, als er von der Woge menschlicher Leiber die Stufen zum Tempelportal hinaufgetragen wurde. Statt dessen dachte er an die Länge des Wegs, der ihn von seinen Kindheitstagen auf Caladan an diesen Ort geführt hatte. Wo hatte er seinen Fuß auf den verhängnisvollen Pfad gesetzt? Er konnte nicht sagen, daß er zu irgendeiner Zeit seines Lebens aus einem bestimmten
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