Dune 02: Der Herr des Wüstenplaneten
Noch nie war er ihr so steif und amtlich vorgekommen, so konservativ und bemüht um formale Richtigkeit. Sein Kinn war vorgereckt, aggressiv, sein Mund hackte die Sätze. War wirklich nichts in ihm als juristische Pedanterie?
»Korba ist ein Fremen und muß nach den Gesetzen der Fremen behandelt werden«, schloß Stilgar.
Alia wandte sich frustriert ab und blickte zu den Fenstern hinaus. Wie lange wollten sie diese Verhandlung noch hinziehen? Ausgerechnet in dem Augenblick, wo sie Korba am Rand eines vollen Geständnisses hatten, mußte Stilgar ihm einen rettenden Strohhalm reichen! Was nun? Korba hatte sich entspannt. Seine Haltung gab jetzt zu erkennen, daß er einen ungerechten Angriff erduldet hatte und daß alles, was er getan hatte, aus Liebe und Verehrung für Muad'dib geschehen sei.
Es war beinahe, wie wenn er eine Botschaft erhalten hätte, dachte sie. Er benahm sich wie ein Mann, der den Zuruf von Freunden aufgefangen hatte: »Halte aus! Hilfe ist unterwegs!«
Einen Augenblick lang hatten sie alles in der Hand gehabt – die Informationen vom Zwerg, die Hinweise, daß andere am Komplott beteiligt waren, die Namen von Informanten ... Aber der Augenblick war vergangen, und die Bestätigung war ausgeblieben. Stilgar? Sicherlich nicht Stilgar. Sie drehte sich um und starrte den alten Mann an.
Stilgar hielt ihrem Blick ohne Wimpernzucken stand.
»Danke, Stilgar«, sagte Paul leise, »daß Sie uns an das Gesetz erinnerten.«
Stilgar neigte den Kopf. Er schrieb ein paar Worte auf einen Zettel und schob ihn Paul hin.
Paul las: »Ich werde ihn ausquetschen und die Angelegenheit dann vor einem ordentlichen Gericht verhandeln.«
Paul nickte und gab den Palastwächtern hinter Korba einen Wink.
»Bringen Sie Korba in eine Zelle. Maximale Sicherheitsvorkehrungen. Keine Besucher außer dem Rechtsberater. Zum Rechtsberater ernenne ich Stilgar.«
»Lassen Sie mich meinen Berater selbst wählen!« rief Korba.
Paul fuhr herum. »Sie leugnen Stilgars Gerechtigkeitssinn und Urteilsvermögen?«
»O nein, Herr, aber ...«
»Fort mit ihm!« rief Paul.
Die Wächter hoben Korba vom Sitzkissen, stellten ihn auf die Beine und schleppten ihn hinaus.
Die Naibs erhoben sich und verließen die Galerie mit neuerlichem Gemurmel. Diener kamen herein und zogen die orangefarbenen Vorhänge zu. Der kleine Saal lag in tiefem Dämmerlicht.
»Paul«, sagte Alia.
»Wenn wir den Gang der Gewalttätigkeit beschleunigen«, sagte Paul, »dann erst, sobald wir volle Kontrolle darüber haben. Ich danke Ihnen, Stilgar; Sie haben Ihre Sache gut gemacht. Alia wird sicherlich diejenigen Naibs identifiziert haben, die mit ihm waren. Sie konnten nicht anders als sich selbst verraten.«
»Hast du dieses Verhör mit Stilgar abgesprochen?« fragte Alia.
»Selbstverständlich«, antwortete Paul. »Hätte ich Korba sofort hinrichten lassen, würden die Naibs verstanden haben. Aber dieses formale Verhör ohne strikte Beachtung der Gesetze und Verfahrensregeln verunsicherte sie; auf einmal fühlten sie sich selbst und ihre Rechte bedroht. Welche Naibs waren auf seiner Seite, Alia?«
»Rajifiri mit Sicherheit«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Und Saajid, aber ...«
»Gib Stilgar die vollständige Liste«, sagte Paul.
Alia schluckte; sie teilte in diesem Moment Pauls Angst. Sie wußte, wie er sich ohne Augen unter ihnen bewegte; sie wußte, daß seine Visionen nicht lückenlos waren und von Perioden völliger Blindheit unterbrochen wurden. Aber die Genauigkeit und Vollständigkeit seiner Bilder erschreckten sie. Ihrer aller Gestalten in der dünnen Luft seiner Vision zu sehen! Sie stellte sich ihre eigene Person vor, wie sie vor seiner inneren Sicht in einer siderischen Zeit schimmerte, deren Übereinstimmung mit der Wirklichkeit ausschließlich von seinen Worten und Handlungen abhing. Er hielt sie alle in der offenen Hand seiner Vision, aber eine Abweichung von seiner vorgegebenen Rolle, und ... was? Würde die Wirklichkeit einen anderen, unbekannten Kurs einschlagen? Würde seine Vision zerbrechen und ihn in die Dunkelheit wahrer Blindheit stürzen? Paul war ein Gefangener ohne die Möglichkeit freier Willensentscheidungen ...
»Ich glaube, wir sollten die Ratssitzung auf den Nachmittag verlegen, Herr«, sagte Stilgar. »Es ist schon Zeit für die Audienz. Viele Leute warten ... Neugierige ... Ängstliche ...«
»Haben Sie Angst, Stilgar?«
Es war kaum ein Flüstern: »Ja.«
»Sie sind mein Freund und haben nichts von mir zu
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