Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
an Keckheit einzubüßen. Sie hatten begriffen, was sie gehört hatten.
»Er ruft die Stämme dazu auf, sich gegen Sie zusammenzuschließen«, sagte der Cadelam.
Alia wußte jetzt, wie sie ihn zu behandeln hatte. In einem ruhigen, sachlichen Tonfall sagte sie: »Ich verstehe. Wenn Sie sich also auf diese Weise selbst opfern wollen, sollten Sie das in einer offenen Konfrontation tun, die für alle sichtbar ist, damit man erfährt, wer Sie sind und was Sie vorhaben – denn ich fürchte, das müssen Sie.«
»Mich opfern ...« Er brach ab und warf seinen Kollegen einen kurzen Blick zu. Als Kaza einer Gruppe, als deren ernannter Führer, besaß er zwar das Recht, für die anderen zu sprechen, aber momentan deutete an ihm alles darauf hin, daß er es vorzog, nichts zu sagen. Die anderen Wachen rührten sich unbehaglich. Die Erhitzung der Verfolgungsjagd war schuld daran gewesen, daß sie es gewagt hatten, Alia zu trotzen. Nun begannen sie zum erstenmal über ihre Frechheit gegenüber dem ›Schoß des Himmels‹ nachzudenken. Mit erkennbarem Unbehagen wichen sie von ihrem Kaza ab.
»Um der Kirche willen, meinen Sie, sollte unsere offizielle Reaktion hart ausfallen«, sagte Alia. »So meinten Sie das doch, nicht wahr?«
»Aber, er ...«
»Ich habe seine Worte selbst vernommen«, unterbrach ihn Alia. »Aber trotzdem handelt es sich hier um einen speziellen Fall.«
»Er kann nicht Muad'dib sein, Mylady!«
Wie wenig du doch weißt! dachte sie und sagte: »Wir können es einfach nicht riskieren, in aller Öffentlichkeit über ihn herzufallen, ihm etwas zu tun, wenn die halbe Welt dabei zuschaut. Wir müssen eine günstige Gelegenheit abwarten.«
»Aber gerade in diesen Tagen ist er ständig von einem Menschenknäuel umgeben!«
»Ich fürchte, Ihnen wird nichts anderes übrigbleiben, als Geduld zu entwickeln. Wenn Sie natürlich darauf beharren, mich herauszufordern ...« Sie ließ die Konsequenzen unausgesprochen, obwohl jeder sie verstand. Der Cadelam war ein ambitiöser Charakter, vor ihm lag eine glänzende Karriere.
»Wir wollten Sie nicht herausfordern, Mylady.« Der Mann hatte sich jetzt wieder unter Kontrolle. »Wir sind etwas zu rasch vorgegangen; ich sehe das jetzt ein. Verzeihen Sie uns, aber er ...«
»Es ist nichts geschehen; also habe ich auch nichts zu vergeben«, erwiderte Alia und benutzte damit die allgemeingültige Formel der Fremen. Es war eine jener alten Kompromißansprüche, die dazu dienten, den Stammesfrieden zu erhalten, und glücklicherweise besaß der Cadelam noch genügend Traditionsbewußtsein, um sich daran zu erinnern. Immerhin hatte seine Familie eine ganze Reihe bekannter Führerpersönlichkeiten hervorgebracht. Die Schuldfrage zu stellen, war eine der Waffen, die ein Naib besaß, aber es war ratsam, sie sparsam anzuwenden: Die Fremen funktionierten stets dann am besten, wenn sie keinerlei Schuldgefühle in sich aufkeimen ließen.
Er erkannte Alias Aussage dadurch an, daß er sich verbeugte und sagte: »Zum Guten des Stammes; ich verstehe.«
»Machen Sie sich nun frisch«, sagte Alia. »In wenigen Minuten beginnt bereits die Prozession.«
»Jawohl, Mylady.« Sie zogen sich zurück, und jede einzelne ihrer Bewegungen deutete darauf hin, daß sie diesen Rückzug als Flucht werteten.
In Alias Kopf polterte eine tiefe Stimme: »Ah, du bist mit dieser Situation ja wirklich spielend fertiggeworden. Mindestens ein paar dieser Leute glauben immer noch, daß du den Tod dieses Predigers willst. Sie werden schon einen Weg finden.«
»Sei still«, zischte sie. »Sei still! Ich hätte dir niemals zuhören sollen! Schau, was du angerichtet hast ...«
»Du befindest dich auf dem Weg in die Unsterblichkeit«, sagte die Baßstimme.
Das Echo in ihrem Kopf erschien ihr wie ein ferner Schmerz, und sie dachte: Wo kann ich mich verstecken? Es gibt keinen Ort, an den ich gehen kann!
»Ghanimas Messer ist scharf«, sagte der Baron. »Vergiß das nicht.«
Alia klapperte mit den Wimpern. Ja, das durfte sie nicht vergessen. Ghanimas Messer war wirklich scharf. Vielleicht würde es sie irgendwann aus ihrer schrecklichen Lage befreien.
37
Wenn man bestimmten Worten Glauben schenkt, glaubt man auch an ihre versteckten Implikationen. Wenn man glaubt, daß etwas richtig oder falsch, wahr oder unwahr ist, glaubt man auch den hinter diesen Worten stehenden Annahmen, die diese Schlüsse ausdrücken. Solche Annahmen sind meistens voller logischer Löcher, dennoch rufen sie höchste Überzeugung
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