Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
ihnen nur eine Anweisung zu geben, worauf sie sich zurückzogen und nur noch Harum zurückließen.
Wieder und wieder hörte er ihnen zu. Manchmal erinnerten die Stimmen ihn an einen Souffleur, der seinen Kopf auf die Bühne steckte und ihn auf sein Benehmen hinwies. Sein Vater tauchte auf und sagte: »Du bist ein Kind, das versucht, ein Mann zu sein. Und wenn du ein Mann bist, wirst du dir wünschen, wieder ein Kind zu sein.«
Während der ganzen Zeit fühlte er sich den Angriffen der Flöhe und Läuse ausgesetzt, die dieser alte Sietch beherbergte. Keiner von denen, die ihn mit der gewürzdurchsetzten Nahrung versorgten, schien sich an ihnen zu stören. Lag es daran, daß sie gegen sie immun waren – oder lebten sie bereits so lange mit ihnen zusammen, daß sie ihre Anwesenheit nicht einmal mehr bemerkten?
Wer waren diese Leute, die sich um Gurney versammelt hatten? Wir waren sie hierhergekommen? War dies Jacurutu? Das Kollektivbewußtsein gab ihm Antworten, die ihm nicht gefielen. Die Leute hier waren häßlich, und Gurney war der häßlichste von allen. Dennoch erweckten sie unter ihrer häßlichen Oberfläche den Eindruck von Perfektion und ständiger Bereitschaft.
Ein Teil von ihm wußte, daß er immer noch an das Gewürz gebunden war, daß man ihm mit jeder Mahlzeit in starken Dosierungen verabreichte. Während sein kindhafter Körper versuchte, dagegen anzukämpfen, unterhielt sich sein Ich mit den nebelhaften Gestalten unzähliger, äonenalter Bewußtseine.
Er ließ von diesen Gedanken ab und fragte sich, ob sein Körper überhaupt noch existierte. Das Gewürz verwirrte die Sinne. Er fühlte den Druck der Selbstbegrenzungen, die sich von allen Seiten gegen ihn warfen, wie eine Düne, die auf eine Felsenklippe zuwanderte. Zunächst würden nur vereinzelte Sandkörner die Wand überqueren, dann noch welche und immer mehr, bis der Himmel nur noch auf einen sandbedeckten Hügel herabsah.
Aber der Felsen würde immer noch darunterliegen.
Ich bin immer noch in Trance, dachte er.
Er wußte, daß er bald einem Weg gegenüberstehen würde, der Leben und Tod trennte. Die Leute, die ihn gefangenhielten, würden ihn in diesem Zustand halten, weil sie nicht mit dem zufrieden waren, was er nach jedem Erwachen sagte. Und ständig lauerte der verräterische Namri mit seinem Messer auf ihn. Obwohl Leto zahllose Vergangenheiten und Zukünfte kannte, mußte er erst einmal herausfinden, was Namri befriedigte ... oder Gurney Halleck. Sie wollten etwas, das außerhalb seiner Visionen lag. Der Kreuzweg übte auf Leto einen seltsamen Reiz aus. Sein Leben, das wurde ihm klar, mußte irgendeine Bedeutung haben, die es über die Visionen hinaushob. Diese Erkenntnis führte dazu, daß er zu der Ansicht gelangte, in seinem Bewußtsein besser aufgehoben zu sein als in der äußeren Welt. Es erschreckte ihn. Er wollte einfach nicht mehr bewußt in diesen Sietch mit all seinen Flöhen, Namris und Gurney Hallecks zurückkehren.
Ich bin ein Feigling, dachte er.
Aber selbst ein Feigling mußte dazu in der Lage sein, mit einer trotzigen Geste zu sterben. Welche Geste aber war es, die ihm wieder Auftrieb geben konnte? Wie stellte er es an, aus der Trance zu erwachen und einen Blick in das Universum zu tun, auf das Gurney aus war? Wenn es ihm nicht gelang, dies zu tun, hatte er nur noch die Wahl, in einem Gefängnis zu sterben, das er um sich selbst errichtete. Und auch darin würde ihm vielleicht nichts anderes übrigbleiben, als mit denen, die ihn gefangenhielten, zu kooperieren. Er mußte zur Weisheit gelangen und seine Selbstsicherheit wiederfinden. Schaffte er das, konnte er das Universum reflektieren und zu überlegener Stärke zurückkehren. Nur dann würde er weiter nach dem Goldenen Pfad suchen und die Haut, die nicht die seine war, überleben können.
Irgendwo draußen im Sietch spielte jemand auf einem Baliset. Leto kam zu dem Schluß, daß sein Körper die Töne dieser Musik möglicherweise aus der Gegenwart empfing. Er spürte den Diwan unter dem Rücken. Er konnte die Musik hören. Es war Gurney, der das Instrument handhabte, denn es gab keinen anderen Menschen, der in ähnlich meisterhafter Weise mit diesem komplizierten Ding fertig wurde. Er spielte ein altes Lied der Fremen; ein Hadith, das deswegen so bezeichnet wurde, weil Stücke dieser Art sich mit dem Leben in der Wüste, speziell aber dem Überleben in ihr, erzählend auseinandersetzten. Dieser Hadith befaßte sich mit den verschiedenen Berufen der Bewohner
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