Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
Fersen geheftet hatten. Der winzige Signalgeber, der in den neuen Stiefeln, die sie ihm geschenkt hatte, versteckt war, hatte ganze Arbeit geleistet. Stilgar und Irulan warteten in den Tempelkerkern. Vielleicht würden sie sterben, vielleicht konnte man sie aber auch auf andere nützliche Arten einsetzen. Es tat niemandem weh, wenn sie noch etwas wartete.
Sie registrierte, daß die Städter die Pilgerfrauen eingehend musterten. Ihre Blicke waren abschätzend und ungeniert. Die grundsätzliche Gleichheit der Geschlechter, die in der Wüste üblich war, hatte sich in den Städten verwischt. Auch dies entsprach dem Plan. Man mußte soziale Unterschiede schaffen, um die Fremen aufzuspalten und dadurch allmählich zu schwächen. Alia konnte die unterschwellige Veränderung in der Art der Blicke, die die Städter den Fremdweltlerfrauen zuwarfen, beinahe körperlich spüren.
Sollen sie zusehen, ihr Bewußtsein mit Ghafla beschäftigen.
Da die Jalousien vor Alias Fenster hochgezogen waren, konnte sie bereits den Anstieg der Hitze spüren, die in dieser Jahreszeit mit dem Sonnenaufgang begann und am Spätnachmittag zum Höhepunkt gelangen würde. Die Temperatur auf dem Steinboden des Vorplatzes mußte noch viel höher sein. Obwohl sie den Tänzerinnen arg zusetzte, bewegten sie sich leichtfüßig dahin, beugten ihren Körper, schwangen die Arme und wirbelten mit den Haaren. Sie hatten diesen Tanz Alia, dem Schoß des Himmels, gewidmet, wie man ihr berichtet hatte. Die Beraterin schien nicht sehr erfreut darüber gewesen zu sein, daß er ausgerechnet von den Frauen der Fremdweltler vorgetragen wurde, die für ihre losen Sitten bekannt waren. Die Frauen stammten von Ix, wo es immer noch Leute gab, die sich mit verbotenen Wissenschaften auseinandersetzten.
Alia rümpfte die Nase. Diese Frauen waren ebenso ignorant, abergläubisch und hinterwäldlerisch eingestellt wie die Wüstenfremen ... und genauso wie die spöttische Beraterin, die zu ihr gekommen war, um sich einzuschmeicheln. Weder die Beraterin noch die Ixianer selbst wußten, daß Ix lediglich in einer längst vergessenen Sprache eine Zahl darstellte.
Vor sich hinlächelnd, dachte Alia: Sollen sie nur tanzen. Die Tanzerei nahm ihnen die Energie, die sie sonst vielleicht anderweitig eingesetzt hätten.
Ein Aufschrei aus vielen Kehlen übertönte plötzlich die Musik. Die Tänzer verpaßten einen Schritt, gerieten aus dem Takt und wandten sich in Richtung auf das große Tor um, an dem eine Gruppe von Menschen aufs Pflaster stürzte, als hätte sie ein meterdicker Wasserstrahl umgeworfen.
Alia starrte der eindringenden Welle entgegen.
Erst jetzt verstand sie, was die Leute riefen: »Der Prediger! Der Prediger!«
Dann erst sah sie ihn. Die erste Welle spülte ihn auf den Platz. Eine seiner Hände lag auf der Schulter seines jungen Führers.
Die letzten Pilgerfrauen stellten jetzt ihre Bemühungen, den Tanz wiederaufzunehmen, ein und zogen sich auf die Terrassenstufen zurück. Das Publikum schloß sich ihnen an. Alia verspürte die Ehrfurcht der Leute und in sich selbst nichts als Furcht.
Wie konnte er es wagen!
Sie wollte sich umdrehen und die Wachen rufen, aber dann unterließ sie es doch. Die Menge hatte den Vorplatz bereits gefüllt. Es würde unklug sein, sie gegen sich aufzubringen, wenn sie sich dazu entschieden hatte, den Worten des Blinden zu lauschen.
Alia ballte die Fäuste.
Der Prediger! Was hatte Paul vor? Für die Hälfte der Bevölkerung war er nichts weiter als ein verrückter Wüstenbewohner – aber er stand deswegen unter ihrem Schutz. Die anderen hingehen flüsterten in den Basaren und Läden, er sei Muad'dib. Würde das Mahdinat ihm sonst erlauben, derart ketzerische Gedanken zu äußern?
In der Menge befanden sich Flüchtlinge; Leute, die ihre Sietchs verlassen hatten und deren Roben nur noch Fetzen waren. Es würde nicht ungefährlich sein, sich dort unten aufzuhalten.
»Herrin?«
Die Stimme kam von hinten. Alia wandte sich um und sah Zia, die im Torbogen des angrenzenden Raumes stand. Bewaffnete Tempelwachen drängten sich hinter ihrem Rücken.
»Ja, Zia?«
»Farad'n ist hier und bittet um eine Audienz.«
»Hier? In meinen Räumen?«
»Ja, Mylady.«
»Ist er allein?«
»Bei ihm sind zwei Leibwächter und Lady Jessica.«
Als Alia sich an die letzte Begegnung mit ihrer Mutter erinnerte, fuhr sie sich mit der Hand an die Kehle. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Ihre Beziehungen waren jetzt anderen Bedingungen unterworfen.
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