Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
nie das Messer gegen meine Verwandten erhoben! Weder in der Vergangenheit, noch in der Zukunft!«
Ghanima, die ihn beobachtete, dachte: Das, zumindest, entspricht der Wahrheit.
Überraschenderweise brach Stilgar in ein Lachen aus. »Ahhh, Vetter«, meinte er. »Vergib mir, aber im Zorn offenbart sich die Wahrheit.«
»Dann stimmst du zu?«
»Das habe ich nicht gesagt.« Stilgar hob, als er sah, daß Agarves einem weiteren Ausbruch nahe war, die Hand. »Es geht nicht nur mich an, Buer, sondern auch all diese anderen.« Er deutete auf seine Leute. »Sie stellen meine Verpflichtung dar. Laß uns einen Moment darüber sprechen, welche Reparationen Alia uns anbietet.«
»Reparationen? Davon hat sie nichts gesagt. Pardon will sie euch gewähren, aber keine ...«
»Und was hinterlegt sie als Sicherheit für ihr Wort?«
»Sietch Tabr. Und deine Position als Naib. Volle Autonomie und Neutralität. Sie versteht jetzt, wie ...«
»Ich werde mich weder ihrem Gefolge anschließen, noch sie mit Kriegern versorgen«, warnte Stilgar. »Weiß sie das?«
Ghanima, die zu bemerken glaubte, daß Stilgar allmählich weich wurde, dachte: Nein, Stil, nein!
»Das brauchst du auch nicht«, erwiderte Agarves. »Sie will nur, daß Ghanima in ihre Obhut zurückkehrt und das Verlobungsversprechen hält, das sie ...«
»Also das ist es!« sagte Stilgar. »Ghanima ist der Preis meiner Vergebung. Glaubt sie, ich ...«
»Sie hält dich für einen einsichtigen und klugen Mann«, sagte Agarves und nahm wieder Platz.
Mit glühenden Wangen dachte Ghanima: Er wird darauf nicht eingehen. Er wird darauf nicht eingehen! Im gleichen Moment, als dieser Gedanke sie durchzuckte, hörte sie hinter sich ein leises Rascheln. Sie wollte sich umdrehen, aber harte Fäuste packten sie und stülpten einen nach Schlafkräutern stinkenden Sack über ihren Kopf, noch ehe sie einen Schrei ausstoßen konnte. Noch während ihr Bewußtsein in ein nebelgraues Reich hinüberwechselte, spürte sie, daß sie davongetragen wurde. Und sie dachte: Ich hätte es vermuten sollen! Ich hätte mich darauf vorbereiten sollen! Aber die Hände, die sie schleppten, gehörten einem Erwachsenen und waren stark. Es war unmöglich, sich ihnen zu entwinden.
Das letzte, was Ghanima wahrnahm, war die Kälte der Nacht, das Leuchten der Sterne und ein vermummtes Gesicht, das sich zu ihr niederbeugte und fragte: »Sie ist doch nicht verletzt?«
Die Antwort bekam sie schon nicht mehr mit. Sie verblaßte ebenso wie das Licht in ihrem Innern, das sie selbst war.
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Muad'dib gab uns eine bestimmte Art des Wissens in die prophetische Einsicht; über das, was solche Einsichten umgibt, und den Einfluß, den sie auf Geschehnisse ausübt, die man klar vorausberechnen kann. (Das sind Geschehnisse in einem auf sich selbstbeziehenden System, die der Prophet offenbart und interpretiert.) Wie an anderer Stelle erklärt wurde, kann sich eine solche Einsicht zu einer besonders tückischen Falle für den Propheten selbst erweisen. Er kann zum Opfer dessen werden, was er weiß – ein häufiges und typisch menschliches Versagen. Die Gefahr liegt nämlich darin, daß jene, die tatsächlich Geschehnisse voraussagen können, dazu neigen, den Polarisierungseffekt ihrer Sicht des Gegenwärtigen zu vernachlässigen. Sie vergessen leicht, daß in einem polarisierten Universum nichts existieren kann ohne das Vorhandensein seines Gegenteils.
›Visionen der Vorhersehung‹,
von Harq al-Ada
Sandwolken hingen über dem Horizont und verdeckten beinahe die aufgehende Sonne. Im Schatten der Dünen war es kalt. Leto stand unter den Palmen und blickte hinaus in die Wüste. Es roch nach Staub und dem Duft von Dornenpflanzen, und er hörte die Geräusche von Menschen und Tieren. Die Fremen, die hier lebten, verfügten über keinen Qanat. Sie hatten nur ein Minimum an Pflanzenleben in ihrer Umgebung, und es wurde von Frauen versorgt, die das Wasser in Ledersäcken transportierten. Ihre Windfalle war ein zerbrechlich wirkendes Ding, das von jedem Sturmwind zerstört und anschließend mit Geduld und Zähigkeit wieder aufgebaut wurde. Das harte Leben, die Gefahren des Gewürzhandels und gelegentliche Abenteuer bestimmten ihr Dasein. Diese Fremen stellten sich unter dem Himmel noch immer ein unerreichbares, großes fließendes Wasser vor. Ansonsten verfolgten sie das uralte Konzept der Freiheit, das auch Leto mit ihnen teilte.
Die Freiheit ist das Stadium der Einsamkeit, dachte er.
Er betastete die Falten der
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