Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
Aber diese Welt war nicht länger ein Wüstenplanet; sie war Arrakis ... außerdem begann heute der Morgen eines ereignisreichen Tages.
Stilgar dachte: Jessica, die Mutter Muad'dibs und die Großmutter der königlichen Zwillinge, kehrt heute auf unsere Welt zurück. Warum beendet sie ihr selbstgewähltes Exil ausgerechnet zu dieser Zeit? Warum tauscht sie die Schönheit und Sicherheit des Planeten Caladan gegen die Gefahren von Arrakis ein?
Und es gab noch andere Sorgen: Würde sie seine Zweifel bemerken? Sie war eine Bene-Gesserit-Hexe und Absolventin der besten Schule dieser Organisation und eine Ehrwürdige Mutter. Frauen wie sie waren scharfsinnig und gefährlich. Würde sie ihn auffordern, sich in das eigene Messer zu stürzen?
Würde ich ihr gehorchen? fragte sich Stilgar.
Es war schwer, diese Frage zu beantworten. Er dachte an Liet-Kynes, den Planetologen, der als erster den Traum entwickelt hatte, aus dem Wüstenplaneten Arrakis eine grüne Landschaft zu machen, in der die Menschen leben konnten und in der sie jetzt lebten. Er war Chanis Vater gewesen. Ohne ihn hätte es weder einen Traum, noch Chani, noch die Zwillinge gegeben. Das Resultat dieser zerbrechlichen Kette erfüllte ihn mit Bestürzung.
Wie kam es, daß wir uns alle hier getroffen haben? fragte sich Stilgar. Wieso paßten wir zusammen? Was war unser Ziel? Ist es meine Pflicht, all dies zu beenden, dieses großartige Zusammenspiel zu zerstören?
Stilgar drängte das schreckliche Bedürfnis in sich nun nicht mehr beiseite. Er hatte jetzt die Wahl, darüber zu entscheiden, ob er bereit war, auf alle Liebe seiner Familie zu verzichten, um das zu tun, was ein Naib gelegentlich tun mußte: eine tödliche Entscheidung zugunsten des Stammes zu treffen. Einerseits bedeutete ein solcher Mord höchsten Verrat und eine Abscheulichkeit ersten Ranges. Immerhin sind es nur Kinder! Aber andererseits waren sie genau das nicht. Sie hatten Melange gegessen, an den allgemeinen Sietch-Orgien teilgenommen, die Wüste nach Sandforellen abgesucht und all die anderen Spiele mitgespielt, mit denen sich die Kinder der Fremen beschäftigten ... Und außerdem saßen sie im Königlichen Rat. Obwohl sie dem Alter nach noch Kinder waren, hatte man ihnen dort einen Sitz zugewiesen. Sie mochten dem Körperbau nach Kinder sein – was ihr Bewußtsein anbetraf, waren sie es nicht: sie verfügten über mehr Erfahrung als alle anderen Menschen auf diesem Planeten und waren bereits vor ihrer Geburt mit einem vollen Bewußtsein ausgestattet gewesen. Es war die genetische Erinnerung und die schreckliche Bewußtheit der Kinder, die sie mit ihrer Tante Alia gemein hatten, daß sie sich von allen anderen Menschen unterschieden. Es war dieser Unterschied gewesen, der Stilgar in vielen Nächten nicht hatte ruhen lassen, der seine Gedanken in Bewegung gehalten und ihn dazu gezwungen hatte, seine ruhelose Runde zu machen. Und jetzt wurden ihm seine Zweifel zum erstenmal bewußt. Die Unfähigkeit, eine Entscheidung zu treffen, war auch eine Entscheidung, das war ihm klar. Noch bevor die Zwillinge und ihre Tante das Licht der Welt erblickt hatten, war ihnen das gesamte Wissen ihrer Vorfahren zuteil geworden. Schuld daran war die Drogenabhängigkeit ihrer Mütter Chani und Jessica gewesen. Lady Jessica hatte, bevor das Gewürz Einfluß auf ihren Metabolismus nahm, nur einem Sohn das Leben geschenkt: Paul Muad'dib. Später war dann Alia gekommen, was erst im Nachhinein verständlich wurde. Die zahllosen Generationen, die die Bene Gesserit ihrem Zuchtplan unterworfen hatten, brachten schließlich Muad'dib hervor: den Kwisatz Haderach. Allerdings war ihnen unbekannt gewesen, welche Auswirkungen die Melange auf sein Leben haben würde. Oh, natürlich waren sie nicht so blind gewesen, um diese Möglichkeit nicht zu sehen, aber sie hatten sie verdrängt und mit dem Wort abscheulich belegt. Und diese Tatsache war die Erschreckendste. Wenn etwas als abscheulich bezeichnet wurde, mußte es dafür auch einen Grund geben. Und wenn Alia den Beinamen die Abscheuliche trug, mußte das auch für die Zwillinge gelten, denn auch Chani hatte ihr Leben dem Gewürz unterworfen. Sie hatte es von klein auf zu sich genommen – deswegen hatten ihre Gene die von Muad'dib ergänzt.
Stilgars Gedanken kamen allmählich zu einem Schluß. Es gab für ihn keinen Zweifel, daß die Kräfte der Zwillinge die ihres Vaters noch übertrafen. Die Frage war nur: gegen wen würden sie sie richten? Der Junge sprach von der
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