Dune 05: Die Ketzer des Wüstenplaneten
sich gezwungen zuzugeben, daß der Fußmarsch durch die Wildnis von Gammu ihm eine völlig neue Perspektive eröffnete. Man hatte es der gesamten Region während der Hungerjahre und der Diaspora gestattet, zu einem wahren Pflanzendschungel zu werden. Zwar hatte man das Gebiet später einigermaßen in Ordnung gebracht, aber irgendwie war es noch immer eine Art Wildnis. Geheime Schleichwege und private Landmarkierungen machten sie für sie zugänglich. Teg stellte sich vor, wie Patrin dieses Gebiet als Jugendlicher erfahren hatte – die felsige Erhebung, die im Sternenlicht zwischen den Bäumen sichtbar wurde, das gezackte Vorgebirge, die Pfade, die sich zwischen den Riesenbäumen hindurchzogen.
»Sie werden damit rechnen, daß wir zu einem Nicht-Schiff fliehen«, hatten sie übereinstimmend gemeint, als sie sich ihren Plan auseinandergelegt hatten. »Der Lockvogel muß den Suchtrupp also in diese Richtung führen.«
Patrin hatte nicht gesagt, daß er der Lockvogel sein würde.
Teg schluckte den Kloß hinunter, der sich in seiner Kehle gebildet hatte.
Duncan hatte in der Festung keinen ausreichenden Schutz mehr, redete er sich ein.
Und es stimmte.
Lucilla hatte sich während ihres ersten Tages und der Schilddecke, die sie vor einer Entdeckung durch Suchgeräte eventueller Luftbeobachter schützte, ziemlich aufgeregt gezeigt.
»Wir müssen Taraza benachrichtigen!«
»Sobald wir können.«
»Was ist, wenn dir etwas zustößt? Ich muß deinen ganzen Fluchtplan kennen.«
»Wenn mir etwas zustoßen sollte, wirst du nicht mehr fähig sein, Patrins Pfad zu folgen. Wir haben nicht genügend Zeit, alles in deinem Gedächtnis zu verankern.«
Duncan hatte an diesem Tag nur wenig an ihren Gesprächen teilgenommen. Entweder musterte er sie schweigend oder schläfrig, oder er erwachte schlechtgelaunt und mit einem aufgebracht wirkenden Blick.
Am zweiten Tag unter der sie abschirmenden Decke wollte Duncan plötzlich von Teg wissen: »Warum will man mich überhaupt umbringen?«
»Um das zu hintertreiben, was die Schwesternschaft mit dir vorhat«, sagte Teg.
Duncan warf Lucilla einen finsteren Blick zu. »Und was habt ihr mit mir vor?«
Als Lucilla nicht antwortete, sagte er: »Sie weiß es. Sie weiß es, weil man erwartet, daß ich von ihr abhängig werde. Man erwartet, daß ich sie liebe!«
Nach Tegs Meinung verbarg Lucilla ihre Bestürzung sehr gut. Offenbar waren ihre Pläne, soweit sie den Ghola betrafen, durcheinandergeraten – all dies als Folge ihrer plötzlichen, unvorhergesehenen Flucht.
Duncans Verhalten legte jedoch noch eine andere Wahrscheinlichkeit offen: War der Ghola ein latenter Wahrsager? Welche zusätzlichen Fähigkeiten hatten die hinterhältigen Tleilaxu in ihn hineingezüchtet?
An ihrem zweiten Abend in der Wildnis war Lucilla voller Vorwürfe. »Taraza hat dir befohlen, ihm seine ursprünglichen Erinnerungen zurückzugeben! Wie kannst du das hier draußen tun?«
»Sobald wir einen Unterschlupf erreichen.«
In dieser Nacht zeigte sich Duncan schweigsam und äußerst aufgeweckt. In ihm war eine neue Vitalität. Er hatte etwas gehört! Teg darf nichts zustoßen, dachte er. Wo und was dieser Unterschlupf auch sein mochte, Teg mußte ihn unbeschadet erreichen. Dann werde ich es erfahren!
Duncan wußte zwar nicht, was er erfahren würde, aber von nun an akzeptierte er den dafür zu zahlenden Preis. Diese Wildnis mußte zu ihrem Ziel führen. Ihm fiel ein, wie er sie von der Festung aus beobachtet und sich vorgestellt hatte, frei in ihr zu leben. Das Gefühl einer unberührten Zone der Freiheit war verschwunden. Die Wildnis war lediglich ein Weg zu etwas viel Wichtigerem.
Lucilla, die während des Marsches das Schlußlicht bildete, zwang sich dazu, kühl und wachsam zu bleiben und das, was sie nicht ändern konnte, hinzunehmen. Ein Teil ihres Bewußtseins klammerte sich an Tarazas Befehle:
»Bleib stets in der Nähe des Gholas, und wenn der Augenblick kommt, führe deinen Auftrag zu Ende!«
Bei jedem Schritt maß Teg die noch verbleibenden Kilometer. Es war die vierte Nacht. Patrin hatte geschätzt, daß sie vier Nächte brauchen würden, um das Ziel zu erreichen.
Und was für ein Ziel!
Der Fluchtplan für den Notfall beruhte auf einer Entdeckung, die Patrin als Jugendlicher gemacht hatte und eines der zahlreichen Rätsel Gammus war. Teg erinnerte sich an die Worte seines Kampfgefährten: »Ich habe eine Erkundung der Umgebung vorgeschoben und bin vor zwei Tagen noch einmal dort gewesen. Der
Weitere Kostenlose Bücher