Dune 05: Die Ketzer des Wüstenplaneten
Priesterinnen waren aus Odrades Blickfeld verschwunden. Sie waren nun im Gebäude. Odrade lehnte sich zurück und versuchte sich über das, was sie gerade gesehen hatte, klarzuwerden.
Es war unglaublich.
Nicht eine einzige Akte oder Holofoto-Aufzeichnung der Schwesternschaft hatte sich je mit diesem Phänomen befaßt! Ein Teil dieser Angelegenheit waren die Gerüche – Staub, Schweiß, eine starke Konzentration menschlicher Pheromone. Odrade holte tief Luft. Sie spürte, daß sie zitterte. Aus der Menge waren wieder Einzelwesen geworden, die im Basar untertauchten. Sie sah Weinende. Manche fluchten. Andere lachten.
Die hinter ihr liegende Tür flog auf. Sheeana trat lachend ein. Odrade wirbelte herum, erblickte einige ihrer persönlichen Wachen und mehrere Priesterinnen auf dem Korridor, bevor Sheeana die Tür wieder schloß.
Die dunkelbraunen Augen des Mädchens glitzerten vor Aufregung. Sheeanas schmales Gesicht, das allmählich jene Formen annahm, die sie als Erwachsene haben würde, war gespannt vor unterdrückten Emotionen. Als sie sich auf Odrade konzentrierte, schien ihre Spannung sich jedoch aufzulösen.
Sehr gut, dachte Odrade, als sie dies sah. Lektion eins der Bindung an uns hat schon angefangen.
»Hast du die Tänzer gesehen?« wollte Sheeana wissen und wirbelte hüpfend durch den Raum, um vor Odrade anzuhalten. »Waren sie nicht hübsch? Ich fand sie hübsch! Cania wollte sie mich nicht sehen lassen. Sie sagt, es sei gefährlich für mich, am Siaynoq teilzunehmen. Das ist mir doch egal! Shaitan würde diese Tänzer niemals fressen!«
Mit einer sie schlagartig überkommenden Klarheit, die sie bisher nur während der Gewürzagonie erlebt hatte, durchschaute Odrade die Gesamtheit dessen, was sie gerade auf dem Großen Viereck mitangesehen hatte. Es hatte lediglich der Worte Sheeanas und ihrer Gegenwart bedurft, ihr das klarzumachen.
Eine Sprache!
Tief innerhalb des kollektiven Bewußtseins dieser Leute, gab es – ohne daß es ihnen bewußt war – eine Sprache, die ihnen Dinge sagen konnte, die sie nicht hören wollten. Die Tänzer sprachen sie. Sheeana sprach sie. Die Sache bestand aus stimmlichen Klängen, Bewegungen und Pheromonen; eine komplexe und subtile Kombination, die sich entwickelt hatte wie alle anderen Sprachen auch.
Aus der Notwendigkeit heraus.
Odrade lächelte das glücklich vor ihr stehende Mädchen an. Jetzt wußte sie, wie man die Tleilaxu in eine Falle locken konnte. Und jetzt durchschaute sie auch Tarazas Plan.
Ich muß Sheeana bei der erstbesten Gelegenheit in die Wüste hinausbegleiten. Wir werden nur noch auf die Ankunft des Tleilaxu-Meisters Waff warten. Wir werden ihn mitnehmen!
21
Unabhängigkeit und Freiheit sind komplexe Vorstellungen. Sie gehen zurück auf die religiöse Idee des freien Willens und stehen in Bezug zum Souverän-Mystizismus, der absoluten Monarchen zu eigen ist. Ohne absolutistische Monarchen nach altgöttlichem Muster, die aufgrund der Gnade des Glaubens an die religiöse Hingabe herrschen, hätten Unabhängigkeit und Freiheit ihre gegenwärtige Bedeutung niemals errungen. Diese Ideale verdanken ihre Existenz den warnenden Beispielen vergangener Unterdrückung. Und die Kräfte, die dergleichen Vorstellungen aufrechterhalten, werden zerfallen – es sei denn, daß man sie mittels dramatischer Lehren oder wiederholter Unterdrückung erneuert. Dies ist der grundlegende Schlüssel zu meinem Leben.
Leto II., Gottkaiser von Arrakis
Die Aufzeichnungen von Dar-es-Balat
Etwa dreißig Kilometer tief im dichten, nordöstlich der Gammu-Festung gelegenen Wald ließ Teg sie unter dem Schutz einer Schilddecke warten, bis die Sonne im Westen hinter den Hügeln versank.
»Heute nacht schlagen wir eine andere Richtung ein«, sagte er.
Seit drei Nächten führte er sie nun durch eine baumbestandene Finsternis und bewies mit jedem Schritt über den Weg, den Patrin ihm vorgegeben hatte, die meisterhaften Fähigkeiten seines Mentatengedächtnisses.
»Ich bin vom vielen Sitzen ganz steif«, beschwerte sich Lucilla. »Und diese Nacht wird auch wieder kalt werden.«
Teg faltete die Schilddecke zusammen und legte sie auf sein Gepäck. »Ihr könnt euch jetzt ein bißchen die Beine vertreten«, sagte er. »Aber ehe es nicht ganz dunkel ist, brechen wir nicht auf.«
Teg setzte sich mit dem Rücken gegen den Stamm einer ausladenden Konifere und folgte aus dem tiefen Schatten heraus mit den Augen Lucilla und Duncan, die in das Unterholz vordrangen. Die
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