Dune 05: Die Ketzer des Wüstenplaneten
Gedanken.
»Thopter! Hinter uns!«
»Schnell!« Teg riß die Decke aus dem Tornister und warf sie über sich und die anderen. Sie drängten sich in der erdig riechenden Dunkelheit aneinander und lauschten dem über sie hinweg fliegenden Ornithopter. Das Ding hielt weder an, noch kehrte es zurück.
Als sie sicher waren, daß man sie nicht entdeckt hatte, führte Teg sie wieder auf Patrins Gedächtnispfad zurück.
»Das war ein Beobachter«, sagte Lucilla. »Allmählich vermuten sie ... oder Patrin ...«
»Spar dir deine Kräfte für den Marsch auf!« fauchte Teg.
Sie drang nicht weiter in ihn. Sie wußten beide, daß Patrin längst tot war. Es gab nichts mehr darüber zu sagen.
Dieser Mentat weiß viel, dachte Lucilla insgeheim.
Teg war das Kind einer Ehrwürdigen Mutter, und diese Mutter hatte ihm Dinge beigebracht, die über die Grenzen des Erlaubten hinausgingen. Erst dann hatte die Schwesternschaft ihn in ihre manipulierenden Hände bekommen. Der Ghola war nicht der einzige, dessen Kräfte sie nicht kannte.
Ihr Weg ging im Zickzackkurs voran, und einmal bestiegen sie inmitten des dichten Waldes einen steilen Hügel. Das Licht der Sterne durchdrang die Bäume nicht. Nur das wunderbare Gedächtnis des Mentaten sorgte dafür, daß sie nicht vom Weg abkamen.
Lucilla spürte, daß sie sich über weichen Boden bewegte. Sie lauschte Tegs Bewegungen, las an ihnen ab, wohin sie die Füße setzen mußte.
Wie still Duncan ist, dachte sie. Wie selbstversunken. Er gehorchte Befehlen. Er ging dahin, wohin Teg ihn führte. Sie spürte den Charakter seines Gehorsams. Er hielt sich mit seiner Meinung zurück. Duncan gehorchte, weil man es von ihm – im Augenblick – erwartete. Schwangyus Revolte hatte den Ghola mit einer stürmischen Selbständigkeit versehen. Und mit welchen eigennützigen Eigenschaften hatten ihn die Tleilaxu ausgestattet?
Teg hielt auf einem ebenen Fleck unter hohen Bäumen an, um wieder zu Atem zu kommen. Lucilla hörte, daß er schwer nach Luft schnappte. Dies erinnerte sie erneut daran, daß der Mentat ein sehr alter Mann war – viel zu alt für Anstrengungen dieser Art. Leise sagte sie:
»Alles in Ordnung mit dir, Miles?«
»Ich sag dir Bescheid, wenn ich's nicht bin.«
»Wie weit ist es noch?« fragte Duncan.
»Nur noch eine kurze Strecke.«
Ganz plötzlich nahm er seinen Weg durch die Nacht wieder auf. »Wir müssen uns beeilen«, sagte er. »Nach diesem Sattel haben wir es geschafft.«
Jetzt, wo er die Tatsache akzeptiert hatte, daß Patrin tot war, schwangen Tegs Gedanken wie eine Kompaßnadel zu Schwangyu zurück – und zu dem, was sie jetzt durchmachen mußte. Sie mußte den Eindruck haben, daß sich die sie umgebende Welt in ihre Bestandteile auflöste. Die Flüchtlinge waren nun seit vier Nächten verschwunden! Leute, die eine Ehrwürdige Mutter derart an der Nase herumführten, konnten zu allem möglichen in der Lage sein! Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten die Flüchtlinge den Planeten inzwischen längst verlassen. Ein Nicht-Schiff. Aber was war, wenn ...?
Schwangyus Gedanken mußten voller Was-Wenns sein.
Patrin war zwar das zerbrechlichste Glied der Kette gewesen, aber er war dazu ausgebildet worden, zerbrechliche Glieder zu entfernen. Er war von einem Meister ausgebildet worden – von Miles Teg.
Mit einem schnellen Kopfschütteln vertrieb Teg die Feuchtigkeit aus seinen Augenwinkeln. Die unmittelbare Notwendigkeit erforderte diese bis ins Innerste gehende Ehrlichkeit; er konnte ihr nicht ausweichen. Teg war niemals ein guter Lügner gewesen, nicht einmal sich selbst gegenüber. Schon am Anfang seiner Ausbildung war ihm klargeworden, daß seine Mutter und alle anderen, die an seiner Erziehung beteiligt gewesen waren, ihn dazu konditioniert hatten, in jedweder Weise rechtschaffen zu handeln.
Festhalten an einem Ehrencodex.
Und als Teg die Umrisse des Codex erkannte, den er verinnerlicht hatte, wandte er ihm fasziniert seine Aufmerksamkeit zu. Er begann mit der Erkenntnis, daß die Menschen nicht gleich geschaffen waren, daß sie unterschiedliche ererbte Fähigkeiten besaßen und während ihres Lebens unterschiedliche Erfahrungen machten. Dies brachte Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten und von unterschiedlichem Wert hervor. Teg hatte sich sehr früh klargemacht, daß er sich mit Bedacht in den Strom der wahrnehmbaren Hierarchie einpassen und hinnehmen mußte, daß irgendwann eine Zeit kam, in der die Entwicklung für ihn zu Ende ging. So lautete der Codex.
Diese
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