Dune 05: Die Ketzer des Wüstenplaneten
Vielleicht war gerade das der Grund, weshalb man ihn anbetete? Der Gedanke brachte etwas in ihm zum Klingen. Was hatte einen Menschen dazu getrieben, eine derart schreckliche Metamorphose durchzustehen?
Duncan wußte, was seine Wächter und die anderen in der Festung von Rakis und dem Kern der dortigen Priesterschaft hielten. Ihre höhnischen Bemerkungen und ihr Gelächter sagten ihm alles. Teg sagte: »Möglicherweise werden wir die ganze Wahrheit niemals erfahren, aber ich sage dir eins, Junge. Für einen Soldaten ist das keine Religion.«
Und Schwangyu meinte: »Du sollst alles über den Tyrannen lernen, aber glaube nicht an seine Religion. Du stehst über ihr; sie ist verachtenswert.«
In jeder freien Minute führte sich Duncan das zu Gemüte, was die Bibliothek für ihn bereitstellte: das Heilige Buch des Geteilten Gottes, die Gardistenbibel, die Orange-Katholische Bibel, und sogar die Apokryphen. Er erfuhr vom längst nicht mehr existierenden Glaubensbüro und »der Perle, die die Sonne des Verstehens ist«.
Allein der Gedanke an die Würmer faszinierte ihn. Wie groß sie waren! Ein großer Wurm würde sich von einem Ende der Festung zum anderen erstrecken! Früher hatten Menschen die Würmer geritten – in den Tagen vor dem Tyrannen –, aber nun hatten die Priester von Rakis dies verboten.
Die Aufzeichnungen, die eine Gruppe von Archäologen in der primitiven Nicht-Kammer des Tyrannen auf Rakis gefunden hatten, packten ihn. Man nannte den Ort ›Dar-es-Balat‹.
Die Aufzeichnungen des Archäologen Hadi Benotto waren mit der Anmerkung ›Auf Befehl der Priesterschaft von Rakis unveröffentlicht‹ versehen. Die Aktennummer im Verzeichnis des Bene Gesserit-Archivs war äußerst lang, und das, was Benotto darlegte, faszinierend.
»Und in jedem Wurm ist ein Kern des Bewußtseins des Gott-Kaisers enthalten?« hatte er Geasa gefragt.
»So heißt es. Aber selbst wenn es stimmt – sie haben kein Bewußtsein, nehmen es nicht wahr. Der Tyrann hat selbst gesagt, er würde in einen endlosen Traum eintreten.«
Jede Unterrichtsstunde führte zu einem besonderen Thema und wurde aus dem Blickwinkel der Bene Gesserit erklärt. Schließlich kam er zum ersten Mal mit Dingen in Berührung, die unter den Bezeichnungen ›Die neun Töchter der Siona‹ und ›Die tausend Söhne Idahos‹ liefen.
Als er Geasa damit aufsuchte, sagte er: »Ich heiße auch Duncan Idaho. Was hat das zu bedeuten?«
Geasa bewegte sich stets so, als stünde sie im Schatten ihres eigenen Versagens. Ihr Gesicht war vornübergebeugt, und ihre wäßrigen Augen blickten zu Boden. Als Duncan auf sie gestoßen war, war es beinahe Abend. Sie standen in einem langen Korridor vor dem Übungsraum. Sie erbleichte bei seiner Frage.
Als sie nicht antwortete, fragte er: »Stamme ich von diesem Duncan Idaho ab?«
»Du mußt Schwangyu fragen.« Geasa hörte sich an, als würden ihre eigenen Worte sie schmerzen.
Diese Art der Reaktion war ihm nicht unbekannt. Sie verärgerte ihn. Sie meinte damit, man würde ihm etwas erzählen, damit er fortan den Mund hielte. Ohne wirklich etwas auszusagen. Schwangyu zeigte sich jedoch unerwartet offen.
»In dir ist das Blut des authentischen Duncan Idaho.«
»Wer sind meine Eltern?«
»Sie sind längst tot.«
»Wie sind sie gestorben?«
»Das weiß ich nicht. Wir haben dich als Waise aufgenommen.«
»Warum gibt es dann Leute, die mir Böses wollen?«
»Weil sie sich vor dem fürchten, was du eventuell tun wirst.«
»Was könnte das sein?«
»Lerne deine Lektionen! Irgendwann wirst du alles erfahren.«
Halt den Mund und lerne! Schon wieder eine Antwort, die er kannte.
Er gehorchte nur deswegen, weil er zu erkennen gelernt hatte, wann die Tore für ihn verschlossen waren. Aber nun stieß seine unstillbare Intelligenz auf andere Aufzeichnungen der Hungerjahre und der Diaspora. Er erfuhr von den Nicht-Kammern und Nicht-Schiffen, die man nicht aufspüren konnte – nicht einmal mit den besten Wahrsagerhirnen des Universums. Und hier begegnete er der Tatsache, daß die Nachfahren Duncan Idahos und Sionas, die Nachfahren jener Uralten, die in den Diensten des tyrannischen Gott-Kaisers gestanden hatten, für die Propheten und Hellseher ebenfalls unsichtbar waren. Nicht einmal ein Gildennavigator in tiefster Melange-Trance konnte solche Leute aufspüren. Siona, so behaupteten die Unterlagen, war eine echte Atreides gewesen. Und Duncan Idaho ein Ghola.
Ghola?
Duncan begab sich in die Bibliothek, um Erklärungen dieses
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