Dune - Frühe Chroniken 03 - Das Haus Corrino
verließ sie ihr Zimmer und trat auf die Bodenfliesen.
In der Mütterschule auf Wallach IX war sie häufig barfuß gegangen. Das kühle Klima ermöglichte es den jungen Schülerinnen, Ausdauer zu erlernen und zu erproben, wie sie ihre Körperwärme, Atmung und Nervenimpulse unter Kontrolle bekamen. Einmal hatte Harishka – die damals noch Sachwalterin und keine Mutter Oberin gewesen war – ihre jungen Frauen in die verschneiten Berge geführt, wo alle ihre Kleidung ablegen und vier Kilometer weit durch eisverkrusteten Schnee laufen mussten. Auf dem windigen Gipfel hatten sie eine Stunde lang nackt meditiert, bevor sie zu ihrer Kleidung und in die Wärme zurückkehren durften.
An jenem Tag wäre Anirul beinahe erfroren, aber diese Erfahrung hatte sie zu einem besseren Verständnis ihres Metabolismus und ihres Geistes geführt. Es war ihr gelungen, sich warm und wohl zu fühlen, ohne dass sie Kleidung oder irgendetwas anderes benötigte. Vier ihrer Klassenkameradinnen hatten nicht überlebt, und Harishka hatte ihre Leichen im Schnee liegen gelassen, wo sie späteren Schülerinnen als Mahnung dienen sollten ...
Als Anirul nun durch die Gänge des Palastes lief, kamen Hofdamen aus ihren Zimmern und eilten zu ihr. Aber nicht Jessica. Sie hatte dafür gesorgt, dass die schwangere junge Frau gut beschützt wurde und nichts von ihrer inneren Unruhe ahnte.
Aus dem Augenwinkel sah Anirul, wie der Schatten eines Wachmanns aus einem Hofdamenzimmer huschte. Sie ärgerte sich, dass ihre Frauen sich auf Affären einließen, während sie in Bereitschaft bleiben sollten – insbesondere seit ihre häufigen Anfälle von Schlaflosigkeit allgemein bekannt waren.
»Ich gehe in den Tierpark«, verkündete sie, ohne sich zu den Frauen umzublicken, die ihr hinterherhasteten. »Sagt dem Direktor Bescheid, damit man mich hineinlässt.«
»Um diese Zeit, Mylady?«, fragte ein hübsches junges Hausmädchen. Sie hatte ein zierliches Gesicht unter blond gelocktem Haar und knöpfte ihr Mieder zu.
Anirul bedachte sie mit einem strengen Blick, worauf das Mädchen einen Kopf kleiner zu werden schien. Am nächsten Morgen würde man sie entlassen. Die Frau des Imperators duldete es nicht, wenn man ihre Launen kritisierte. Mit der großen Verantwortung auf ihren Schultern wurde Aniruls Bereitschaft zur Toleranz immer geringer. Ein wenig wie Shaddam.
Draußen schimmerten prächtige Polarlichter am Nachthimmel, aber Anirul achtete kaum darauf. Ihr wachsendes Gefolge zog mit ihr über die Gartenterrassen und erhöhten Boulevards, bis sie das künstlich bewaldete Gelände erreichte, in dem der Imperiale Zoo untergebracht war.
Frühere Herrscher hatten den Tierpark zu ihrem privaten Vergnügen genutzt, während Shaddam sich nicht im Geringsten für biologische Besonderheiten ferner Welten interessierte. In einer »großzügigen Geste« hatte er den Zoo für die Öffentlichkeit freigegeben, damit das Volk »die Großartigkeit aller Geschöpfe unter der Herrschaft des Hauses Corrino« bewundern konnte. Wie er einmal gegenüber seiner Frau eingestanden hatte, wäre die Alternative gewesen, die Tiere zu schlachten, um die Futterkosten einzusparen.
Anirul blieb am Eingang zum Tierpark stehen, einem schlanken Kristallbogen. Sie sah, wie Lichter angingen, schwere Leuchtgloben, die die schlafenden Tiere beunruhigten. Der Zoodirektor hetzte von einem Kontrollzentrum zum nächsten, um alles für Aniruls Ankunft bereitzumachen.
Sie wandte sich an ihre Hofdamen. »Bleibt hier. Ich möchte allein sein.«
»Ist das klug, Mylady?«, verärgerte das blonde Hausmädchen ein zweites Mal ihre Herrin. Shaddam hätte sie zweifellos auf der Stelle exekutieren lassen.
Anirul bedachte sie erneut mit einem vernichtenden Blick. »Ich habe mich mit der Politik des Imperiums auseinander gesetzt, junge Frau. Ich bin den unangenehmsten Mitgliedern des Landsraads begegnet, und ich bin seit zwei Jahrzehnten mit Imperator Shaddam verheiratet.« Sie runzelte die Stirn. »Also kann ich durchaus mit Tieren umgehen.«
Damit marschierte sie in die sorgsam gepflegte Pseudowildnis. Der Zoo hatte schon immer einen beruhigenden Einfluss auf sie gehabt. Sie sah Käfige mit Kraftfeldgittern, in denen pelzige Säbelzahnbären, Ecadrogs und D-Wölfe lebten. Laza-Tiger ruhten auf elektrisch beheizten Felsen und hatten es sogar in der Nacht warm. Eine Löwin fraß träge an blutigen Fleischfetzen. In der Nähe öffneten Tiger ihre geschlitzten Augen und musterten Anirul schläfrig. Da die
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