Dune - Frühe Chroniken 03 - Das Haus Corrino
ist noch so jung.«
Shaddam hatte längst erkannt, dass diese militärische Aktion der Atreides die Stellung des Herzogs unter den Großen Häusern erheblich verbessern dürfte. Sie sahen in Leto einen Mann, der Dinge zu tun wagte, über die andere nicht einmal nachdenken wollten. Eine derartige Popularität konnte dem Goldenen Löwenthron gefährlich werden.
Er hob die Hand, an der viele Ringe funkelten. »Wir werden die Angelegenheit untersuchen und demnächst unsere offizielle Stellungnahme bekannt geben.«
Letos Aktion hatte gleichzeitig den Boden für Shaddams Pläne bereitet, die er in naher Zukunft umsetzen wollte. Die hier versammelten Adligen wussten eine schnelle, entschlossene Demonstration der Gerechtigkeit zu schätzen. Ein äußerst günstiger Präzedenzfall ...
Anirul beobachtete ihren Ehemann und spürte offenbar, wie seine Gedanken abschweiften. Sie warf ihm einen fragenden Blick zu, auf den er jedoch nicht einging. Sein Lächeln schien sie zutiefst zu beunruhigen. Seine Frau und ihre Bene-Gesserit-Hexen hielten ihm bereits viel zu viele Geheimnisse vor, also war es sein gutes Recht, es ihnen mit gleicher Münze heimzuzahlen.
Er würde seinen Oberbashar rufen und seine Pläne in die Tat umsetzen. Der alte Veteran Zum Garon würde genau wissen, wie er mit der Angelegenheit umzugehen hatte, und es würde ihm Spaß machen, das Können seiner Sardaukar nicht nur bei Militärparaden vorführen zu dürfen.
Schließlich unterschied sich der Planet Zanovar – auf dem der Bastard Tyros Reffa lebte – gar nicht so sehr von Beakkal ...
* * *
In der Abgeschiedenheit ihrer Gemächer zeichnete Lady Aniruls Sensorschreiber krakelige Hieroglyphen in die Luft. Neben ihr stand eine tropische Topfpflanze mit pechschwarzen Blüten, die elektrische Düfte absonderte.
Über dem Schreibtisch schwebte ihr sensorisches Tagebuch, auf dessen papierlosen Seiten sie ihre geheimsten Gedanken notierte – Dinge, von denen ihr Mann niemals erfahren durfte. Sie benutzte die nahezu unmöglich zu entziffernden Zeichen der Bene Gesserit, die Sprache, die auch im uralten Buch Azhar verwendet wurde.
Sie schrieb über ihre Trauer um den Tod Lobias, über die Zuneigung, die sie für die alte Frau empfunden hatte. Die Mutter Oberin würde bestimmt angesichts einer so unbeherrschten Gefühlsbeichte die Stirn runzeln! Aber Anirul vermisste ihre Freundin sehr. Am imperialen Hof hatte sie sonst keine engen Vertrauten, nur unerträgliche Speichellecker, die sich lediglich in der Hoffnung auf einen besseren Stand um Aniruls Gunst bemühten.
Lobia war anders gewesen. Jetzt befanden sich die Erinnerungen und Erfahrungen der alten Frau in Anirul, inmitten der Kakophonie aus mehreren hundert Generationen. Dieser Wald der vergangenen Existenzen war viel zu dicht, um ihn jemals erkunden zu können.
Ich vermisse dich, alte Freundin. Verlegen riss sich Anirul zusammen. Sie drückte einen Knopf am Sensorschreiber und beobachtete, wie Instrument und Tagebuch gleichzeitig verschwanden; sie lösten sich in einen Nebelschwaden auf, der in ihren blassblauen Soosteinring gesogen wurde.
Anirul unterzog sich einer Reihe von Atemübungen. Die Hintergrundgeräusche des Palasts traten zurück, und sie hörte nur noch die Stimme ihres Bewusstseins, die flüsternd rief: »Mutter Lobia? Kannst du mich hören? Bist du da?«
Die Weitergehenden Erinnerungen waren gelegentlich eine sehr irritierende Erfahrung – als würden ihre Vorfahren sie aus einem Versteck innerhalb ihres Kopfes ausspionieren. Obwohl ihr der Verlust der elementaren menschlichen Privatsphäre missfiel, empfand sie ihre Anwesenheit zumeist als tröstlich. Die Ansammlung verschiedenster Existenzen war eine mentale Bibliothek, ein Reservoir der Weisheit und der Ermutigung, wenn sie die Gelegenheit hatte, einen Zugang zu ihnen zu erhalten. Irgendwo da drinnen, unter zahllosen Leben versteckt, war auch Lobia und wartete nur darauf, sprechen zu können.
Anirul schloss die Augen und schwor sich, die Wahrsagerin zu finden, tief in den Lärm einzutauchen, bis sie Lobia lokalisiert hatte. Sie ging tiefer ... und tiefer ... und tiefer ...
Es war wie ein eierschalendünner Damm, der jeden Moment brechen konnte. Sie hatte nie zuvor eine so tiefe Ergründung ihrer inneren Vergangenheiten versucht. Sie wusste, dass sie Gefahr lief, sich hoffnungslos in der Unterwelt der Stimmen zu verlieren. Doch Anirul war die Kwisatz-Mutter, die diesen geheimen Rang bekleidete, weil sie einen besseren
Weitere Kostenlose Bücher