Dungirri 01 - Schwarze Dornen
entlang ihres üblichen Schulwegs befragt«, berichtete Matthews weiter. »Gestern Abend habe ich die Freiwilligen vom State Emergency Service alarmiert. Die haben das Bachufer abgesucht und sind mit Stangen am Badeplatz und unter dem Damm am Stausee gewesen. Gerade jetzt sucht ein SES-Trupp das Buschland im Norden ab. Bis jetzt alles ohne Erfolg.«
»Ich nehme nicht an, dass es in diesem Truck Stop Café eine Überwachungskamera gibt?«
»So was wird hier draußen nicht gebraucht.« Sergeant Matthews verzog den Mund zu einem grimmigen Lächeln. »Schließlich liegen wir ja nicht an einer großen Überlandroute. Die meisten Fahrer sind alte Bekannte - regelmäßige Viehtransporte, Landwirtschaftsbedarf und so. Jeanie vom Café kannte jeden, der gestern dort haltgemacht hat.«
»Danke, Matthews.« Alec kehrte an die Stirnseite des Saals zurück. »Leute, wenn der Täter tatsächlich derselbe ist, der auch Jess und Kasey entführt hat, dann stehen die
Chancen gut, dass Tanya noch am Leben und irgendwo versteckt ist. Aber uns bleibt nur wenig Zeit, um sie zu finden. Fraser, Sie besorgen eine Liste von allen, die gestern in dem Café waren, dann schnappen Sie sich ein paar Leute und fühlen denen mal auf den Zahn. Donahue, Sie stellen sicher, dass die SES-Trupps die Suche nicht aufgeben - sie sollen überall hingehen, wo das Mädchen sein könnte. Matthews, Sie prüfen nach, ob einem der Schulkinder irgendwas aufgefallen ist. O’Connell, wir beide werden die Leute im Ort befragen.«
Er meinte, einen Anflug von Furcht unter ihrer ausdruckslosen Maske zu bemerken. Er wusste, dass er sie ins kalte Wasser stieß, indem er sie zwang, den Einwohnern sofort gegenüberzutreten. Doch was er damit bezweckte, war das genaue Gegenteil - nämlich die Bewohner mit ihr zu konfrontieren und mit den Folgen des letztjährigen Vorfalls. Er hoffte, dass es die Leute zwingen würde, sich der Wahrheit zu stellen und die Gefahr innerhalb ihrer Gemeinschaft ans Tageslicht zu bringen.
Allein die Aussicht, einem kleinen Mädchen damit unter Umständen das Leben zu retten, milderte ein wenig sein schlechtes Gewissen, weil er Isabelle in dieser Weise benutzte.
Isabelle holte langsam tief Luft und kämpfte einen Anflug von Panik nieder. Konzentrier dich auf deine Aufgabe, konzentrier dich nur auf das, was getan werden muss, betete sie sich innerlich so lange vor, bis die eiserne Entschlossenheit allmählich die tobenden Gefühle bezähmte. Als spüre er ihr Unbehagen, lehnte Finn sich an ihr Bein; sanft legte sie ihm die Hand auf den Kopf, und die Berührung half ihr, sich zu beruhigen.
Finn stets zwischen ihnen, arbeitete sie sich mit Alec die Bridge Street hinauf; sie gingen in den Lebensmittelladen, ins Gemeindedepot, ins Hotel und in die Geschäfte für Eisenwaren und Landwirtschaftsbedarf.
Niemand war auf ihr Kommen gefasst. Sie presste sich die geballten Fäuste an die Schenkel und ignorierte die überraschten Gesichter. Manche bemühten sich, nett zu sein, andere waren auf der Hut, wieder andere so verunsichert, dass sie es nicht wagten, ihr in die Augen zu sehen. All die dunklen Erinnerungen, die nach ihr greifen wollten, wehrte sie durch Tanyas Bild ab, das sie im Geiste wie einen Schutzschild vor sich her trug, und wenn sie eine Reaktion zeigte, dann nur in ihrer Funktion als Detective O’Connell.
Durch seine natürliche Autorität und dienstlichen Umgangsformen zog Alec, der nicht von ihrer Seite wich, automatisch die Aufmerksamkeit der Befragten auf sich, dennoch machte er keinerlei Anstalten, sich in den Vordergrund zu spielen. Er überließ ihr die Führung, bildete ein Team mit ihr und ergänzte ihre Fragen durch gezieltes Nachhaken.
Vor einem Jahr hätte sie ihm seine Professionalität wahrscheinlich hoch angerechnet.
Doch diesen Gedanken verbot sie sich, ebenso wie sie versuchte, das irritierende Bewusstsein seiner unmittelbaren Nähe zu verdrängen. Er berührte sie nicht und stellte sich nie zwischen sie und Finn, aber er rückte auch keinen Moment weiter als auf Armeslänge von ihr ab. Sie hielt sich an dem Gedanken fest, dass sie sich seiner Gegenwart nur deshalb so sehr bewusst war, weil sie die vergangenen Monate völlig abgeschieden gelebt und kaum je eine Menschenseele zu Gesicht bekommen hatte.
In Ward’s Rural Supplies glitt Joe Wards nervöser Blick immer wieder von ihrem Gesicht fort, als er erklärte, nein, er habe Tanya gestern nicht gesehen und von der einen Auslieferung abgesehen, habe er praktisch
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