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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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feiner, silberbedampfter Glassplitter zu schützen, die wie reißender Nebel auf ihn herabregneten. Irgend etwas berührte eiskalt und flüchtig seine Schulter.
    Es tat nicht einmal weh, aber das Gefühl war wie ein elektrischerSchlag, der durch seinen Arm und bis in die Fingerspitzen und auf der anderen Seite bis tief in seinen Unterleib hineinraste und ihn aufstöhnen ließ. Er konnte spüren, wie für einen Moment alle Kraft aus seinem Körper wich, taumelte, fing sich im letzten Moment wieder und schaffte es irgendwie, sich zur Tür zu schleppen und sie aufzustoßen.
    Wimmernd vor Angst und Schwäche torkelte er auf den Hausflur hinaus. Eine Woge unsichtbarer Schwärze folgte ihm. Schatten führten einen irrsinnigen Tanz rings um ihn herum auf, und erneut berührte etwas flüchtig seinen Arm. Diesmal ließ ihn die Berührung gegen die Wand taumeln.
    Es war kein wirklicher Schmerz, sondern nur etwas, das seine Nerven als Schmerz interpretierten, weil ihnen die wirkliche Bedeutung dieses Gefühls vollkommen fremd und unverständlich war. Er sank gegen die Wand, kämpfte einen Moment lang gegen eine Schwärze in seinen Gedanken an, die in Bewußtlosigkeit überzugehen drohte, und schaffte es irgendwie, sich auf Händen und Knien abzufangen, bevor er endgültig zu Boden gehen konnte. Er hatte der Ohnmacht getrotzt, war aber auch nicht mehr ganz wach, sondern schien sich in einer Art Zwischenbereich zu befinden, in dem er sich seines Körpers und seiner Umgebung nur noch vage bewußt war. Er wußte nicht, was von dem, was er zu sehen und hören glaubte, Wirklichkeit und was Halluzination war. Er hörte ein Geräusch, wie ein fernes, durch und durch böses Lachen, Laute wie von einem Kampf, trappelnde Schritte, das Schlagen großer, ledriger Flügel. Eine verschwommene Gestalt schmolz aus der Schwärze heraus, die sein Gesichtsfeld einengte, und beugte sich über ihn, und für einen ganz kurzen Moment glaubte er verbranntes Fleisch zu riechen.
    Nein.
    So leicht würde er es ihm nicht machen. Der Dunkle war da, so, wie er vielleicht die ganze Zeit über in seiner Nähe gewesenwar, aber er war nicht gekommen, um ihn zu töten. Noch nicht. Er war hier, um ihn zu quälen. Sich an seinem Schmerz zu laben und ihm das einzige zu geben, was zu geben er vielleicht überhaupt imstande war: Leid.
    Der Gedanke weckte seinen Trotz.
    Er hätte sich damit abfinden können, hier und jetzt zu sterben, aber nicht damit, Opfer einer Macht zu werden, der er nur zufällig in den Weg geraten war und die er nicht verstand und auch gar nicht verstehen wollte und die ihn mit der gleichen grausamen Gedankenlosigkeit quälte, mit der eine Katze mit einer gefangenen Maus spielte. Er bäumte sich auf, schlug nach dem schattenhaft sichtbaren Gesicht über sich und hatte das verrückte Gefühl, auf Widerstand zu treffen – aber das war unmöglich. Er konnte nichts berühren, was nicht da war. Aber vielleicht gehorchte diese Vision ja ihrer eigenen, widersinnigen Logik.
    So oder so, der Dunkle taumelte zurück, und auf seinem entstellten Gesicht erschien für den Bruchteil einer Sekunde eine Mischung aus Überraschung, Schmerz und Wut, bevor das Bild langsam verblaßte. Gleichzeitig wich langsam das Gefühl plötzlicher Schwäche aus Jans Gliedern; er konnte fühlen, wie die Kraft in seinen Körper zurückkehrte und die Bewußtlosigkeit, die ihn in jenes unheimliche Zwischenreich gezerrt hatte, fast widerwillig zurückwich.
    Jan hob den Arm, preßte die Hand gegen den rauhen Verputz der Wand und zog sich mühsam hoch. Noch immer drehte sich alles um ihn, und noch immer hatte er Schwierigkeiten, richtig zu sehen. Schatten wirbelten durch sein Gesichtsfeld, und er war nicht sicher, ob die Geräusche, die er hörte, nur in seiner Einbildung existierten oder wirklich waren.
    Am unteren Ende der Treppe fiel die Tür ins Schloß, und er hörte eilige Schritte, die sich dem Aufzug näherten.
    Jan verharrte noch eine oder zwei Sekunden, schwer gegendie Wand gestützt, dann hob er mühsam seine Jacke auf, die ihm entglitten war, zwang seine Beine, sich in Bewegung zu setzen und die Treppe anzusteuern. Seine Brust schmerzte, und sein Herz hämmerte schnell, hart und auf beunruhigende Weise unregelmäßig. Er war nicht einmal sicher, ob er die Kraft aufbringen konnte, die Treppe hinunterzusteigen – aber er wollte nicht, daß ihn jemand in diesem Zustand sah; kein Fremder und schon gar nicht Katrin oder Vera.
    Während er sich Stufe für Stufe die Treppe

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