Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
Vera an, auf eine ganz besondere, fast erwartungsvolle Art.
Vera grinste. »Das wollen wir hoffen.«
»Was?«
»Daß du alt wirst. Oder willst du jung sterben?«
Der Scherz ging so daneben, wie Katrins Lachen falsch klang. Eine sonderbare Atmosphäre hatte sich urplötzlich im Zimmer ausgebreitet. Eine Mischung aus Furcht und Mißtrauen, die nicht nur Jan zu empfinden schien. Katrins Haltung wirkte angespannt. Sie schenkte sich einen Kaffee ein, aber ihre Finger zitterten so sehr, daß sie die zweite Hand zu Hilfe nehmen mußte, um die Tasse zu heben und daran zu nippen.
»Also?« sagte sie schließlich, an Vera gewandt. »Du wolltest uns erzählen, was dir passiert ist.«
Vera nahm ihre Brille ab und sah Katrin aus ihren fahlen Augen durchdringend an. »Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, daß wir nicht mehr darüber reden.«
Katrin erwähnte das Thema für den Rest des Abends mit keinem Wort mehr.
A ls Jan am nächsten Morgen erwachte, war Katrin – beinahe schon wie üblich – nicht da, hatte aber diesmal weder einen Zettel noch eine andere Notiz hinterlassen, wohin sie gegangen war und wann sie zurückkommen würde. Dafür fand er zwei Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter. Die eine war von dem Beerdigungsunternehmer, mit dem er tags zuvor gesprochen hatte, und besagte, daß die Staatsanwaltschaft den Leichnam seines Bruders freigegeben habe und die Beerdigung somit wie geplant am kommenden Freitag stattfinden könne.
Jan war verwirrt – und auch ziemlich beunruhigt. Er hatte gar nicht gewußt, daß sich die Staatsanwaltschaft für den Tod seines Bruders interessierte und warum. Und dazu passend stammte die zweite Botschaft von Krieger, der jetzt schon deutlich ruppiger um seinen Rückruf bat.
Jan dachte nicht daran. Sollte sich dieser blöde Bulle doch jemand anderen suchen, dem er mit seinen Fragen auf die Nerven gehen konnte. Er hatte im Augenblick wirklich andere Sorgen.
Als er sich sein Frühstück zubereitete, fiel sein Blick auf die Kamera, die er am vergangenen Abend achtlos liegengelassen hatte.
Er überlegte, ob er die wenigen Bilder entwickeln sollte,entschied sich dann aber dagegen. Die Art von hochempfindlichem Film, den er eingelegt hatte, war unverschämt teuer. Es wäre Verschwendung, den ganzen Film zu entwickeln, um vier oder fünf Abzüge zu machen – Abzüge, die möglicherweise sowieso wieder auf geheimnisvolle Weise verschwinden würden, falls sie irgend etwas anderes zeigten als das leere Zimmer …
Er verstaute den Apparat wieder in dem Schrank, in dem er den Teil seiner Ausrüstung aufbewahrte, den er nicht aktuell im Einsatz hatte, kramte eine Weile herum und förderte schließlich eine kleine Pappschachtel zutage, die seit drei Jahren auf einem der Regalbretter verstaubte.
Sie enthielt das erste Geschenk, das Katrin ihm gemacht hatte; rührend, aber vollkommen nutzlos. Es war eine kleine Digitalkamera der ersten Generation. Die Speicherkapazität war auf acht Aufnahmen beschränkt, und die Qualität dieser Aufnahmen war so miserabel, daß die Kamera nicht einmal mehr als Spielzeug durchging. Trotzdem nahm Jan sie nun heraus, überprüfte sie sorgfältig und machte eine Probeaufnahme, nachdem er die Batterien ausgewechselt hatte.
Das Bild, das auf dem briefmarkengroßen Display erschien, war tatsächlich noch schlechter, als er erwartet hatte; die Qualität der Kamera hatte im Lauf der Jahre nachgelassen, oder er hatte sie besser in Erinnerung. Aber es erschien sofort .
Jan löschte die Aufnahme, ging dann durch die Wohnung und drückte fast wahllos auf den Auslöser, bis ihn ein leises elektronisches Piepsen davon unterrichtete, daß der Speicher voll war.
Als er die Aufnahmen überprüfte, kam er sich selbst ziemlich albern vor. Sie zeigten nichts anderes als das, was er durch den Sucher gesehen hatte: Eine leere Wohnung. Was hatte er erwartet? Irgendwelche Gespenster, die in den Ecken hockten und ihn anstarrten?
Trotzdem überspielte er die Aufnahmen auf die Festplatte seines PCs, bevor er den Speicher wieder löschte und die kaum zigarettenschachtelgroße Kamera in die Brusttasche steckte und sein Arbeitszimmer wieder verließ; im Grunde ohne zu wissen warum. Es war wieder nur ein Gefühl.
Das Telefon klingelte, und Jan hob ab. »Ja?«
»Verschwinde aus der Wohnung!« Es war Veras Stimme. Sie sprach schnell, gehetzt, als wäre sie kurz davor, zu schreien. »Sofort!«
»Aber …?«
»Wir treffen uns in der Stadt. In dem unterirdischen Gasthaus am
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