Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
lieber bei meiner Version.« Er schlug mit der flachen Hand auf die Kamera in seiner Jackentasche. »Ich habe ein paar hübsche Fotos von deinem kleinen Bruder und dir gemacht. Sobald Katrin zurück ist, werden wir damit zur Polizei gehen und denen dieganze Geschichte erzählen. Vielleicht kennt man euch ja dort schon.«
»Das wäre ein großer Fehler«, sagte Vera.
»Und wieso?«
Es war nicht Jan, der diese Frage stellte. Er sah hoch und bemerkte erst jetzt, daß Katrin wieder hinter ihm aufgetaucht war. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen stand sie wohl schon eine ganze Weile da und hörte zu.
»Du bist schon zurück?« Vera blinzelte. Sie wirkte erschrocken, schuldbewußt?
»Ich war gar nicht weg«, antwortete Katrin. »Ich habe meine Tasche vergessen, weißt du? Ich habe alles gehört.« Sie machte eine Kopfbewegung auf die Treppe hinter sich. »Ist das wahr, was Jan gesagt hat?«
»Natürlich nicht!« protestierte Vera. »Es ist –«
»Ich habe dir vertraut«, fuhr Katrin fort. »Ich habe wirklich gedacht, Jan hätte sich in dir getäuscht und ich könnte dir vertrauen. Warum hast du uns nicht einfach die Wahrheit gesagt?« Ihre Stimme klang bitter. Jan lauschte vergeblich auf einen Unterton von Zorn oder wenigstens von Ärger. Katrin wirkte nur zutiefst enttäuscht.
»Aber das habe ich«, behauptete Vera. »Jedenfalls … soweit ich das konnte.«
»Und wie weit ist das?« Katrin schüttelte traurig den Kopf.
»Bitte!« Vera griff nervös nach oben, nahm die Brille ab und sah Katrin einen Moment lang aus ihren sonderbaren Augen an. Irgend etwas ging hinter ihrer Stirn vor, so deutlich, daß Jan es regelrecht sehen konnte. Für einen Moment glomm ein seltsames Funkeln in ihren Augen auf – und erlosch wieder. Sie seufzte, setzte die Ray-Ban wieder auf und starrte auf einen Punkt irgendwo zwischen Katrin und ihm.
»Es tut mir leid«, murmelte sie. »Ich … habe einen Fehler gemacht.«
»Ja«, bestätigte Katrin. »Das hast du.« Sie wandte sich mit einem traurigen Blick an Jan. »Wenn du bezahlt hast, dann würde ich jetzt gern nach Hause fahren.«
»Gerne«, sagte Jan. Sogar ihm selbst fiel auf, wie überrascht seine Stimme klang. Er hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit, daß Katrin so offen und vorbehaltlos seine Partei ergriff. Sie mußte wohl wirklich die ganze Zeit auf der Treppe gestanden und jedes Wort von Vera gehört haben.
»Wartet!« Vera hob rasch die Hand. Alles an ihr wirkte plötzlich hektisch, fast verzweifelt. So, dachte Jan, sah also jemand aus, der seine schon sicher geglaubte Beute im letzten Moment davonrennen sah. Warum besaß sie nicht wenigstens den Anstand, mit Würde zu verlieren?
Er beantwortete seine eigene Frage gleich selbst: Weil sie Angst hatte. Er wußte nicht wovor, und es interessierte ihn in diesem Augenblick auch nicht, aber es war unübersehbar. Er stand auf.
»Bitte!« Veras Stimme wurde fast flehend, schrill. »Es ist wichtig! Der Junge! Du … du hast ihn wirklich gesehen?«
»Deutlich und in voller Größe.« Jan verzog die Lippen zu einem angedeuteten abfälligen Lächeln. »Pech für dich. Du solltest mit deinem kleinen Bruder sprechen, damit er das nächste Mal vorsichtiger ist. Er hat sich keine besondere Mühe gegeben, nicht aufzufallen, weißt du?«
»Aber du verstehst nicht –«
»Du verstehst anscheinend nicht, daß meine Geduld allmählich wirklich erschöpft ist«, unterbrach sie Jan kalt. »Er legte einen Geldschein auf den Tisch und wandte sich demonstrativ zur Treppe um. Vera wollte noch etwas sagen, aber diesmal ließ er sie erst gar nicht zu Wort kommen. Er hatte genug. »Wir gehen jetzt. Ich weiß noch nicht, ob ich zur Polizei gehe oder nicht, aber ich verspreche, daß ich es ganz bestimmt tue, wenn ich dich noch einmal sehe.«
Sie verließen das Lokal. Der Wirt blickte ihnen kopfschüttelnd nach, und wieder ertappte sich Jan dabei, daß er sich für einen kurzen Moment Gedanken darüber machte, welchen Eindruck er bei diesem wildfremden Menschen hinterließ – was ihm im Grunde genommen egal sein konnte. Nicht den besten, soviel war sicher. Aber welche Rolle spielte das schon.
Als sie auf den Kirchenvorplatz hinaustraten, blieb er noch einmal stehen und sah sich schnell nach beiden Seiten um. Von dem Jungen war nichts zu sehen.
Katrin deutete in die Richtung, in der sie vermutlich ihren Wagen geparkt hatte, und sie gingen schweigend los. Erst als sie im Wagen saßen und sie den Schlüssel ins Schloß steckte, sagte
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