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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Peters Verhalten ja einen guten Journalisten aus.«
    Jan sparte sich den Hinweis, daß Katrin und er nicht verheiratet waren, sondern nickte dem Grauhaarigen nur dankbar zu. Unwissentlich hatte der Mann wahrscheinlich gerade einen Eklat unterbunden.
    Um die Situation nicht doch noch eskalieren zu lassen, stand Jan auf und wies mit einer Kopfbewegung in Richtung der Toiletten.
    »Ich glaube, ich trockne mich doch besser ab. Es nützt niemandem etwas, wenn ich mir eine Lungenentzündung hole.« Er machte einen Schritt, blieb noch einmal stehen und deutete auf den Tisch.
    »Fangt bitte ohne mich an. Es kann einen Moment dauern.«
    Er ging, bevor noch jemand etwas sagen konnte. Der Vorraum der Toilette war heller als die Gaststube, denn es gab ein – zwar vergittertes – Fenster, und die Deckenbeleuchtung brannte. Nach der Düsternis des Schattenreiches, in dem er sich gerade bewegt hatte, kam ihm die kalte Sachlichkeit des weiß gekachelten Raumes wie eine Erlösung vor. Er hob die Hand, fuhr sich mit gespreizten Fingern durchs Haar und trat an eines der beiden Waschbecken. Gerade noch rechtzeitig, um den Schatten zu bemerken, der hinter ihm davonhuschte.
    Jan fuhr auf dem Absatz herum und breitete die Arme aus, bereit, zuzupacken oder sich auch zu verteidigen, je nachdem. Aber hinter ihm war niemand. Er war allein.
    Jans Herz begann zu hämmern. Es stimmte nicht. Er war nicht allein. Jemand – etwas – war hier, unsichtbar, aber so präsent, daß er es beinahe greifen konnte.
    Vorsichtig drehte er sich wieder um, sah in den Spiegel und veränderte ein paarmal den Blickwinkel. Der Schatten tauchtenicht wieder auf, aber er spürte, daß das Fremde noch da war; jetzt vielleicht noch intensiver als zuvor.
    Ein weiteres Puzzleteil gesellte sich zu dem Bild, das langsam in seinem Kopf Gestalt annahm: Vera hatte den Spiegel im Schlafzimmer nicht von ungefähr zerbrochen. Es war keineswegs so, daß diese Wesen, die ihm folgten, in Spiegeln nicht sichtbar waren, wie die Mythologie behauptete. Im Gegenteil: Sie waren nur im Spiegel sichtbar. Er hatte den Dunklen in dem Spiegel in seiner Diele gesehen und auch Vera, einen Tag zuvor, im Badezimmerspiegel. Ihre suggestive Kraft reichte vielleicht, Menschen nur das sehen zu lassen, was sie ihnen gestatteten, aber nicht, die physikalischen Grundregeln außer Kraft zu setzen.
    Sie waren im Spiegel sichtbar. Ihre Unverwundbarkeit hatte Lücken. Und eine davon lag hier.
    »Also gut, verdammt noch mal«, sagte er. »Zeigt euch! Ich weiß es zu schätzen, daß ihr auf mich aufpaßt. Aber ich hasse es, belauert zu werden!«
    Der Spiegel blieb leer, und auch die Stille hinter ihm antwortete nicht. Aber irgend etwas … reagierte auf seine Worte. Es kam näher.
    Und was, wenn es nicht Vera oder einer ihrer Verbündeten war? Was, wenn –
    Die Tür ging auf, und einer der Gäste kam herein – der Grauhaarige, der ihm gerade zu Hilfe gekommen war. Er stutzte, als er Jan in verkrampfter Haltung vor dem Spiegel stehen sah, dann zuckte er andeutungsweise mit den Schultern, zog die Tür hinter sich zu und straffte sich. Er war nicht gekommen, um die Toilette zu benutzen.
    »Herr Feller. Bitte entschuldigen Sie das Benehmen meines Mitarbeiters. Schönborn ist ein guter Journalist, aber leider manchmal etwas taktlos. Er wollte Sie nicht verletzen.«
    »Schon gut.« Jan warf einen letzten, unsicheren Blick inden Spiegel, drehte sich mit einem Ruck um und wollte die Toilette verlassen, aber der Grauhaarige hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.
    »Einen Moment noch, Herr Feller«, sagte er. Er hatte sich gut in der Gewalt, aber Jan spürte seine Nervosität trotzdem. Was immer er ihm sagen wollte, war ihm unangenehm.
    »Bitte entschuldigen Sie, daß ich Sie so überfalle, vor allem in einem Moment wie diesem«, fuhr er fort. »Aber ich … müßte dringend mit Ihnen reden. Nur eine Minute.«
    Jan wollte nicht mit ihm reden. Vor allem nicht hier. Sie waren nicht allein. Aber die einzige Möglichkeit, an dem Mann vorbeizukommen, wäre ihn praktisch gewaltsam aus dem Weg zu schieben.
    »Mein Name ist Dörr«, sagte der Grauhaarige. »Dr. Dörr. Ich bin … ich war der Chefredakteur Ihres Bruders. Ich nehme an, er hat mich nie erwähnt?«
    »Nein«, antwortete Jan. »Peter und ich haben sehr selten über seinen Beruf geredet.« Es fiel ihm schwer, sich nicht umzudrehen. Hinter ihm war etwas. Etwas Unsichtbares, das näher kam. Sich anschlich?
    »Das ist … wirklich schade«, sagte Dörr stockend.

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