Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
nicht wissen. Er drehte sich mit einem Ruck um und ging mit schnellen Schritten in Richtung Ausgang, wo Katrin auf ihn wartete.
Die Schatten folgten ihm wispernd.
Der »Schinderhannes« war eine auf historisch getrimmte Kneipe, die von innen nicht ganz zu halten vermochte, was sie von außen versprach. Aber sie war nicht weit vom Friedhof entfernt und verfügte über hinlänglich Platz für die kleine Trauergemeinde. Auf dem mit Lavaschotter bestreuten Parkplatz stand nur eine Handvoll Autos. Wenn Peters Freunde so waren wie er, dann paßte es zu ihnen, sich zu sechst in einen Viersitzer zu quetschen, um in der gesamten Kolonne einen Wagen zu sparen.
Katrin, Dieter und er stiegen aus. Sie hatten während derfünfminütigen Fahrt hierher kein Wort gesprochen, und das Schweigen hielt auch jetzt noch weiter an. Jan hatte sich entschlossen, seine Beichte aufzuschieben, bis er auf Nosferatu getroffen und einer von ihnen tot war. Es gab eine mehr als gute Chance, daß er derjenige sein würde, und warum sollte er Katrin weher tun, als nötig war?
Im Inneren der Gastwirtschaft war es warm und trocken und überraschend dunkel. Das Tageslicht, das durch die kleinen braungelben Butzenscheiben fiel, war trübe; zudem hatte der Wirt die Beleuchtung nicht eingeschaltet, so daß Jan im ersten Moment das Gefühl hatte, nur eine Versammlung von Schatten an der langen, schlicht gedeckten Tafel zu sehen. Er schüttelte den Gedanken ab. Er mußte achtgeben, nicht vollends den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Der Platz am Kopfende der kleinen Tafel war frei geblieben. Für ihn. Am liebsten hätte er ihn Katrin oder Dieter überlassen, aber natürlich ging das nicht. Er setzte sich, nickte knapp und wortlos in die Runde und schenkte sich einen Kaffee ein. Seine Hände zitterten.
»Sie sollten wenigstens auf die Toilette gehen und sich die Haare abtrocknen.« Es war die junge Frau, mit der Katrin vorhin gesprochen hatte. Jan erinnerte sich vage an sie. Sie war keine von Peters Kolleginnen, sondern eine frühere Freundin. Die beiden hatten eine kurze Affäre gehabt, aber es hatte sich einer jener seltenen Fälle daraus entwickelt, bei denen nicht Haß oder verletzte Eitelkeit zurückgeblieben waren, sondern eine langanhaltende Freundschaft.
»Sie werden sich sonst erkälten.«
Jan wollte erst gar nicht antworten. Er wollte im Moment nicht reden und schon gar kein Gespräch in Gang setzen. Seit seinem Eintreffen hatte sich eine Art betretenes Schweigen in der Trauergemeinde breitgemacht, und er fand dieses Schweigen dem Anlaß durchaus angemessen. Trotzdem nickte er nacheinigen Sekunden. Er wollte nicht unhöflich erscheinen … als ob das jetzt noch eine Rolle spielte.
»Gleich«, sagte er. »Ich möchte vorher nur … einen Kaffee trinken.«
»Es ist verdammt kalt geworden«, stimmte ihm Peters Ex-Freundin zu. Anders als er und die meisten anderen hier schien sie krampfhaft darum bemüht zu sein, ein Gespräch in Gang zu bringen. Warum bloß? »Peter hätte es gefallen. Er hat … er hatte einen ausgeprägten Sinn für arrangierte Feste.«
»Ja«, sagte Jan. »Das hatte er.«
»Und um so weniger Sinn für die Realität«, sagte ein junger Mann auf der anderen Seite des Tisches. Schönberg oder so ähnlich, erinnerte sich Jan. Er war ein Arbeitskollege von Peter gewesen.
»Warum sagen Sie das?« fragte Jan.
»Weil abzusehen war, daß so etwas passiert. Peter war ein netter Kerl und ganz bestimmt alles andere als dumm. Aber manchmal hat er sich benommen wie ein kleines Kind. Niemand kann derart jahrelangen Raubbau mit seiner Gesundheit treiben und glauben, er käme ungestraft davon.«
»Das ist er ja auch nicht«, sagte Katrin, bevor Jan Gelegenheit fand, zu antworten. »Er ist ziemlich hart bestraft worden, finde ich.« Sie sprach leise, aber in ihrer Stimme war ein Ton, der dem anderen eine Warnung gewesen wäre, hätte er sie auch nur annähernd so gut gekannt wie Jan. Zu seinem Pech kannte er sie nicht.
»Aber es wäre nicht nötig gewesen! Ich habe ihn oft genug gewarnt. Jeder hier hat das! Er hätte vielleicht nicht den Pulitzer-Preis gewonnen, aber wenn er sich einmal in einen Fall verbissen hat, dann hat er …« Er suchte nach Worten. »… gnadenlos weitergemacht. Manchmal zwei, drei Tage, ohne zu schlafen oder etwas zu essen.«
»Wie Frau Feller bereits gesagt hat«, fiel ihm ein grauhaarigerMann von der anderen Seite des Tisches her ins Wort, »hat er die Strafe dafür bekommen. Und vielleicht zeichnet
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