Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
sinnlos.
Er mußte den Schlüssel für die Handschellen finden. Irgendwie. Er suchte weiter, grub durch seine Jackentaschen und versuchte, den leblosen Körper umzudrehen, um irgendwie an Kriegers Hosentasche zu kommen. Dieser verdammte Schlüssel mußte doch irgendwo sein!
Und schließlich fand er ihn – einen dicken, schweren Bund mit mindestens einem Dutzend Schlüsseln, wahrscheinlich mehr, der seinen Fingern zwei-, dreimal entglitt, ehe er ihn ungeschicktso zu fassen bekam, daß er die einzelnen Schlüssel irgendwie in das Schlüsselloch der Handschellen hineinfummeln konnte.
Er hatte schier unvorstellbares Glück. Schon der zweite Schlüssel paßte, und die Handschellen sprangen mit einem hellen Klicken auf. Jan riß die Arme hinter dem Rücken hervor und warf sich herum. Er verschwendete keine Zeit damit, nach Nosferatu zu sehen oder gar nach Krieger, sondern hechtete mit weit nach vorne gestreckten Armen nach der Pistole und bekam sie zu fassen.
Vlad wartete, bis er die Pistole ergriffen und halb in die Höhe gerissen hatte, dann trat er ihm mit solcher Wucht auf die Hand, daß sein Mittelfinger brach.
Der Schmerz ließ Jan schrill aufheulen und trieb ihm die Tränen in die Augen. Er wollte die Pistole fallenlassen, aber sein Zeigefinger hatte sich hinter dem Abzug verhakt und der Dunkle nützte die Gelegenheit, seinen Fuß erneut auf Jans Hand zu senken und ihm mit einer genüßlichen Drehung des Absatzes noch einen weiteren Finger zu brechen; vielleicht auch mehr als einen.
»Das war gar nicht schlecht«, sagte Vlad. Jedenfalls nahm Jan an, daß er das sagte. Seine Stimme war ein gräßliches, feuchtes Blubbern, das kaum zu verstehen war. »Wenigstens für ein Stück Vieh.«
Jan drehte sich mühsam auf den Rücken. Vlads Gesicht verschwamm immer wieder vor seinen Augen. Es war kaum noch menschlich, sondern die Fratze eines … Dings , für das es kein Wort gab, weil er kein Teil der menschlichen Welt war, für das menschliche Worte geschaffen worden waren.
»Mach endlich … Schluß«, stöhnte Jan. »Du hast gewonnen. Was willst du noch?«
»Gewonnen?« Der Dunkle fuhr sich mit den gespreizten Fingern der linken Hand über den Hals und betrachtete anschließendeine Sekunde lang stirnrunzelnd seine Fingerspitzen. Jan konnte nicht sagen, ob seine Grimasse Schmerz, Überraschung oder Wut ausdrückte. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Gewonnen? Nein. So einfach ist das nicht, fürchte ich.« Er beugte sich vor, lächelte Jan an und schlug ihm dann mit solcher Wucht ins Gesicht, daß einer seiner Schneidezähne abbrach.
»Aber vielleicht hast du recht«, fuhr Nosferatu fort. »Unser Spielchen beginnt mich zu langweilen. Ich gebe dir eine faire Chance: Wenn du mich und die Schlampe bis Mitternacht findest, machen wir die Sache unter uns aus, wie Männer.« Er lachte glucksend.
»Nur du und ich. Ich komme ohne Waffe, aber du darfst dir was aussuchen. Ich schlage etwas aus Silber vor. Und noch ein Tip: Vergiß den Scheiß mit dem Holzpflock. Das funktioniert nicht.«
Und damit verschwand er. Jan konnte nicht sagen, ob er wirklich von einem Sekundenbruchteil auf den anderen verschwand oder er selbst für eine oder zwei Sekunden das Bewußtsein verlor. Das nächste, das er bewußt wahrnahm, waren zwei Geräusche, die praktisch gleichzeitig erfolgten: Das Splittern von Holz und das leise Summen, das die Ankunft der Aufzugkabine ankündigte.
Obwohl halb bewußtlos, realisierte er instinktiv, was diese beiden Laute bedeuteten: Vlad hatte die Tür eingeschlagen – aus keinem anderen Grund als dem, die »Schlampe« zu holen (Katrin! Großer Gott, er hatte Katrin) –, und in der Liftkabine mußte sich einer von Kriegers Kollegen befinden. Zweifellos hetzte der andere in genau diesem Moment die Treppe herauf, um ihm diesen Fluchtweg abzuschneiden. Die beiden mußten die Schüsse gehört haben; vielleicht hatte Krieger auch die ganze Zeit über per Funk mit ihnen in Verbindung gestanden.
Egal. Die Polizei war sein kleinstes Problem. Jan stemmte sich auf Hände und Knie hoch, tastete, blind und ohne eigentlich zu wissen warum, nach Kriegers Pistole und bekam sie mit der linken Hand zu fassen; seine rechte war ein einziger nutzloser Klumpen voll pulsierendem Schmerz.
Als er sich auf die Knie erhob, ertönte hinter ihm ein elektronisches »Plink«, das die Ankunft der Liftkabine ankündigte. Fast gleichzeitig flog die Tür am anderen Ende des Korridors auf, und ein uniformierter Polizist mit gezückter
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