Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
sanfter Gewalt wieder in die Wohnung hinein. »Wasch dich«, befahl sie. »Und zieh dich um. Aber beeil dich, um Himmels willen!«
Jan stolperte durch die Wohnung und ins Bad. Unterwegs begann er bereits, sich die Kleider vom Leib zu reißen. SeineBewegungen waren fahrig und so chaotisch und wenig zielgerichtet wie seine Gedanken. Noch halb angezogen, stolperte er unter die Dusche und drehte den Kaltwasserhahn auf.
Das Wasser wirkte wie ein Schock. Er begann am ganzen Leib zu zittern, aber die erhoffte Wirkung auf seine Gedanken blieb aus. In seinem Kopf war noch immer ein einziges kreischendes Durcheinander. Er tastete blind nach dem Warmwasserhahn, fand ihn erst nach dem dritten oder vierten Versuch, und dann reichte seine Kraft nicht, um ihn aufzudrehen. Nicht einmal, nachdem er beide Hände zu Hilfe nahm.
Die Tür der Duschkabine flog auf, und Vera blickte herein. Sie sah, was er tat, runzelte die Stirn und drehte dann mit einer einzigen Bewegung das heiße Wasser auf. Er hatte den Hahn in die falsche Richtung gedreht.
»Ich habe hier frische Kleider«, sagte sie. »Beeil dich. Deine Nachbarin hat die Polizei gerufen – und außer ihr wahrscheinlich auch noch ein halbes Dutzend anderer aufrechter Bürger. Die Schüsse müssen noch unten auf der Straße zu hören gewesen sein.«
Jan stieg aus der Dusche, tastete blind nach dem Handtuch, das Vera ihm hinhielt, und begann sich abzutrocknen. Nach zwei Sekunden registrierte er den Blick, mit dem Vera ihn dabei maß, und hörte wieder damit auf. Er hatte Hemd und Schuhe zwar ausgezogen, trug aber noch immer seine Hose und einen Strumpf. Hastig ließ er das Handtuch fallen und zog sich vollends aus. Dabei musterte er aus den Augenwinkeln die Kleider, die Vera mitgebracht hatte: Jeans, dunkler Rollkragenpulli und feste Schuhe. Vera hatte nicht wahllos zugegriffen. Sie hatte gewußt, welche Art von Kleidung er benötigte.
»Er hat Katrin«, sagte er, während er sich nach dem Handtuch bückte, um sich zu Ende abzutrocknen. »Er hat gedroht, sie umzubringen, wenn ich nicht zu ihm komme.«
»Ich habe sie gewarnt«, sagte Vera. »Sie hätte überhauptnicht hier sein dürfen. Warum, zum Teufel, hast du das nur zugelassen?«
Das war nicht die Art von Antwort, die er hatte hören wollen. Er ersparte es sich, Vera zu erklären, daß niemand in der Lage war, Katrin von etwas abzubringen, das sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte.
»Du mußt mir helfen, ihn zu finden«, sagte er.
»Nichts lieber als das«, antwortete Vera. In leicht spöttischem Ton fügte sie hinzu: »Ich suche ihn selbst, weißt du? Unglücklicherweise habe ich nicht die geringste Ahnung, wo er ist.«
»Wie kommt es nur, daß es mir so schwer fällt, dir zu glauben?« fragte Jan böse. »Ich meine, wo wir doch beide wissen, daß du mich niemals anlügen –«
Er verstummte mitten im Satz. Mit einer Bewegung, die ebenso wütend wie der Klang seiner Stimme war, hatte er das Handtuch davongeschleudert und nach dem Pullover gegriffen, und obwohl sich ihre Finger dabei nur ganz sacht berührten, war es, als hätte er glühenden Stahl angefaßt. Jan krümmte sich. Der Schock pulsierte bis in die entferntesten Nervenenden seines Körpers, und das Gefühl war im ersten Moment so intensiv, daß es die Grenzen zu echtem, körperlichem Schmerz weit überschritt.
Es war das Gegenteil; ein Verlangen von solcher Macht, daß er ihm nichts entgegenzusetzen hatte. Jan krümmte sich vor Lust, packte Vera und riß sie mit einem solchen Ungestüm an sich, daß sie einen kleinen, überraschten Schrei ausstieß. Ohne weitere Umschweife warf er sie auf den Boden und begann ihr die Kleider vom Leib zu reißen.
Die Situation war … grotesk. Aberwitzig, grotesk und durch und durch irrsinnig, aber er war unfähig, irgend etwas anderes zu tun. Es war, als stünde er außerhalb seines eigenen Körpers und sähe sich selbst dabei zu, wie er hier auf dem Badezimmerbodenüber Vera herfiel und sie wie ein Tier bestieg. Mit dem kleinen Rest von klarem Denken, der ihm geblieben war, empfand er nicht nur Entsetzen, sondern schon fast Ekel vor sich selbst. Was sie taten, hatte nichts mit Liebe zu tun, nicht einmal mit Sex. Es war ein Zwang, ein Befehl, der tief aus seinem Inneren kam und nicht einmal den Gedanken an Widerspruch zuließ, stärker als seine Vernunft, stärker als sein bewußtes Denken, ja, stärker sogar als sein Selbsterhaltungstrieb.
Es war so schnell vorbei, wie es begonnen hatte. Nach kaum einem halben
Weitere Kostenlose Bücher