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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Feuerzeug aufleuchten.
    Im nächsten Moment hätte er beinahe laut aufgelacht.
    Aber nur beinahe.
    Vor ihm lag weder ein Abgrund noch eine weitere Treppe. Es gab tatsächlich eine Stufe, aber nur eine einzige, und der Boden dahinter lag vielleicht sieben oder acht Zentimeter tiefer als der, über den er bisher gegangen war.
    Jan seufzte erleichtert, schüttelte ein paarmal den Kopf über seine Schreckhaftigkeit und sah hoch.
    Fünf Meter vor ihm stand ein vielleicht acht- oder neunjähriger Junge mit schmutzstarrendem Gesicht und noch dreckigeren Kleidern und blickte ihn aus großen Augen an. Die Flamme des Feuerzeugs spiegelte sich in seinen Pupillen und verlieh seinem Blick etwas fast Dämonisches. In der rechten Hand hielt er etwas, das Jan nicht genau erkennenkonnte, was ihn aber auf unangenehme Weise an eine Waffe erinnerte.
    Das Feuerzeug wurde so heiß, daß Jan den Clip mit einem Fluch losließ und hektisch die Hand hin und her schüttelte. Vor ihm raschelte etwas, dann hörte er ein Tappen wie von nackten Füßen, die in großer Hast über einen nackten Steinboden liefen.
    »He!« schrie Jan. »Junge! Bleib doch hier!«
    Seine Worte schienen eher die gegenteilige Wirkung zu erzielen. Die Schritte wurden schneller und entfernten sich rasch.
    »Warte!« Jan sprang hoch und hetzte mit weit ausgreifenden Schritten hinter dem flüchtenden Jungen her. Das Geräusch seiner Schritte verschluckte das viel leisere Echo der nackten Fußsohlen des Jungen, und er lief nun ganz konkret Gefahr, im Dunkeln gegen eine Wand zu rennen und sich zu verletzen. Es war ihm egal. Der Junge war vielleicht seine einzige Chance, hier herauszukommen.
    Er hörte auf, sinnlos nach dem Jungen zu schreien, sondern versuchte, sich auf das Geräusch der Schritte zu konzentrieren. Es war irgendwo vor ihm, aber er konnte nicht sagen, in welcher Entfernung. Wie, um alles in der Welt, behielt der Junge bei dieser vollkommenen Dunkelheit die Orientierung?
    Jan versuchte, leiser aufzutreten. Der Junge war noch irgendwo vor ihm, aber viel weiter entfernt, als er gehofft hatte. Noch ein paar Augenblicke, und er war ganz verschwunden.
    Er blieb stehen, atmete tief ein und versuchte das Kunststück fertigzubringen, zugleich zu rufen und dabei ruhig und vertrauenerweckend zu klingen. »Junge! Bleib doch stehen! Ich will dir doch nichts tun! Ich will nur hier raus!«
    Die Schritte des Jungen waren noch einen Moment zu hören und verstummten dann. Sie wurden nicht leiser, sondern hörten schlagartig auf. Er war stehengeblieben.
    »Bitte!« rief Jan. »Du brauchst wirklich keine Angst vor mir zu haben! Ich will dir nichts tun! Ich … ich werde auch niemandem verraten, daß ich dich hier getroffen habe! Ich will einfach nur hier raus!«
    Er bekam keine Antwort, aber nach einer Weile glaubte er ein leises Rascheln zu hören, links vor sich. Er hob das Feuerzeug, schnippte es an und stellte erleichtert fest, daß er tatsächlich das Ende des Gangs erreicht hatte: Vor ihm erhob sich eine massive Wand, während sich der Gang selbst nach rechts und links gabelte. Er hatte wirklich Glück gehabt. Wäre er nur zwei Sekunden weitergerannt, wäre er in vollem Lauf gegen die Mauer geprallt und hätte sich womöglich den Schädel eingeschlagen.
    Aber vielleicht war es genau das gewesen, was der Junge gewollt hatte …
    Jan löschte das Feuerzeug und versuchte noch einmal, das Bild des Jungen vor seinem inneren Auge entstehen zu lassen. Er war sehr schmutzig gewesen, aber das war nicht alles. Seine Kleider hatten im Grunde nur aus Fetzen bestanden, und er lief hier unten mit nackten Füßen herum. Er war unheimlich, zumindest sonderbar. Wer sagte ihm eigentlich, daß er nicht auch gefährlich war?
    Er tastete sich bis zur Ecke, lauschte noch einen Moment erfolglos und ging dann in den Gang hinein. Der Abzweigung nach rechts schenkte er kaum einen Gedanken. Das Geräusch war aus dieser Richtung gekommen.
    Das Feuerzeug war mittlerweile wieder abgekühlt, aber er benutzte es trotzdem nicht. Vielleicht hatte ja das Licht den Jungen erschreckt. Statt dessen versuchte er sich ganz auf das zu konzentrieren, was er hörte – vornehmlich die Geräusche, die er selbst verursachte, trotz aller Vorsicht. Aber da war auch noch mehr. Aus der Richtung, in die er sich bewegte, drangen angedeutete Geräusche an sein Ohr. Unmöglich zu sagen, wassie bedeuteten, aber sie erschienen ihm irgendwie künstlich. Keine Laute, die in einer Umgebung wie dieser eben entstanden, sondern

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