Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
wieder eine Bewegung wahrzunehmen.
Es war einfach zuviel. Jan sprang in die Höhe, setzte mit einem gewaltigen Sprung über die zerbrochene Stufe hinweg und raste die Treppe hinauf, ohne auf das Zittern und Ächzen unter seinen Füßen zu achten.
Nach zwei oder drei Dutzend Stufen erreichte er das obere Ende der Treppe; und die Tür, die er erwartet hatte. In vollem Lauf rannte er dagegen, sprengte sie mit der Schulter einen Spalt breit auf und wurde durch die Wucht seines eigenen Anpralls zurückgeworfen. Irgendwie gelang es ihm, nicht zu stürzen und rücklings die Treppe hinunterzustürzen. Er fand taumelnd sein Gleichgewicht wieder, wankte die drei Stufen, die er zurückgeschleudert worden war, wieder hinauf und stemmte sich mit der Schulter gegen das steinharte Holz. Die Tür war nicht verschlossen. Sein erster Ansturm hatte sie um zwei, drei Zentimeter aufgesprengt, und mit seinem verbissenen Schieben und Stoßen gelang es ihm, den Spalt langsam aber beharrlich zu erweitern, bis er schließlich breit genug war, daß er sich hindurchquetschen konnte. Hinter ihm waren noch immer diese unheimlichen, schleifenden Laute. Schritte. Vielleicht auch ein schweres, mühsames Atmen. Jan wagte es nicht, einen Blick über die Schulter zurückzuwerfen, sondern quetschte sich mit verzweifelter Kraft weiter durch den Türspalt. Das Gefühl kommenden Unheils war wieder da. Er durfte sich nicht umdrehen. Wenn er dem … Ding hinter sich ins Gesicht sah, würde etwas Grauenhaftes passieren. Er preßte, quetschte und schob sich weiter und war schließlich durch.
Jan stolperte vor Erschöpfung, fiel mit einem schmerzhaften Keuchen auf ein Knie herab und hätte um ein Haar seine improvisierte Fackel fallengelassen.
Einige Sekunden lang blieb er reglos hocken und versuchte herauszufinden, wo er war. Seine Umgebung war kaum weniger kafkaesk als das unterirdische Labyrinth, aber … anders. Die Luft roch trocken, nach Staub, Zement und Kalk. Etwas raschelte, völlig anders als das Geräusch, das ihn bisher verfolgt hatte; künstlich . Und da war noch etwas: Unter all den verwirrenden, aber bekannten Gerüchen war süßlich-penetrant der Gestank von verbranntem Fleisch zu merken …
Zumindest dies entsprang vermutlich nur seiner Einbildung. Jan schüttelte den Gedanken ab. Wahrscheinlich war eine ganze Menge von dem, was er im Verlauf der letzten halben Stunde erlebt zu haben glaubte, nur seiner Phantasie entsprungen. Wenn nicht alles.
Doch nun schien es vorbei zu sein. Er befand sich noch immer in einer kleinen, fensterlosen Kammer, deren Decke noch dazu so niedrig war, daß er kaum aufrecht stehen konnte; genau die richtige Umgebung für jemanden also, der an latenter Platzangst litt. Aber die Wände bestanden nicht mehr aus bemoostem Stein, sondern aus nacktem Beton. Aus einem Schaltkasten ragten die abgerissenen Enden bunter Kabel, und unter seinen Schritten knirschte zerbrochenes Glas … Und hinter ihm bewegten sich schwere, schleppende Schritte die Treppe hinauf.
Jan sah sich nicht um, aber er hob seine improvisierte Fackel höher und beeilte sich, die Kammer durch die gegenüberliegende Tür zu verlassen. Vor ihm lag jetzt ein schmaler, unbeleuchteter Gang, dessen Wände ebenfalls aus Sichtbeton bestanden und an dessen Ende eine schmale Treppe in die Höhe führte.
Seine Fackel flackerte. Anders als unten im Labyrinth herrschte hier eine starke Zugluft. Die Flamme würde erlöschen. Aber das machte nichts. Er konnte auf den Stufen vor sich einen blassen, grauen Schimmer erkennen. Licht, das vonoben herabfiel. Er hatte den Ausgang endgültig gefunden. Jan schritt immer rascher aus, warf seine improvisierte Fackel schließlich achtlos zu Boden und begann zu rennen. Er bemerkte die Gestalt erst, als sie ihn plötzlich ansprang und von den Füßen riß.
Alles ging so schnell, daß Jan nicht einmal richtig begriff, wie ihm geschah, als er auch schon von einem Schatten herumgewirbelt und gegen die Wand geschmettert wurde. Der Gestank von verbranntem Fleisch hüllte ihn ein, und an den Rändern seines Gesichtsfeldes tobten Schatten, die von allen Seiten zugleich auf ihn einzudringen schienen. Hilflos sackte er an der Wand entlang zu Boden, versuchte seinen Sturz mit den Händen aufzufangen und riß sich die Finger an dem rauhen Beton blutig.
Ein heftiger Schlag in den Rücken schleuderte ihn vollends zu Boden. Diesmal verlor er fast das Bewußtsein. Mit einem Gefühl entsetzlicher Gewißheit begriff er nun, daß er sich
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