Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
sich dann: »Bei meinem Hausarzt . Es ist alles in Ordnung.«
»Herz-Kreislauf-Erkrankungen liegen nicht in Ihrer Familie?« vergewisserte sich Mertens. Vera nahm direkt ihm gegenüber auf der Couch Platz, aber Mertens behandelte sie weiter so, als wäre sie gar nicht da.
»Führen Sie Ihre Visite neuerdings bei Ihren Patienten zu Hause durch?« fragte Jan. Er hörte selbst, wie unhöflich seine Worte klangen, und Mertens zuckte auch fast unmerklich zusammen.
»Natürlich nicht«, sagte er. »Ich dachte nur, weil jetzt auch Ihr Bruder …«
»Es steht noch nicht fest, daß er wirklich einen Herzanfall hatte«, sagte Jan. »Aber selbst wenn: Ich kann Ihnen versichern, daß Peter kerngesund ist … war. Er hat weder übermäßig geraucht noch getrunken oder irgendwelche härteren Drogen genommen. Und ich glaube auch nicht, daß er sich zu Tode gearbeitet hat. Mein Bruder war Journalist.«
»Ich weiß«, antwortete Mertens. »Ich habe gestern noch mit ihm gesprochen.«
»Wieso?«
Mertens zögerte eine oder zwei Sekunden, in denen er von Katrin zu Jan und von ihm wieder zurück zu ihr blickte. Jan konnte ihm ansehen, wie schwer es ihm fiel, überhaupt weiterzusprechen.
»Sie haben natürlich recht, Herr Feller«, sagte er. »Ich bin nicht nur gekommen, um mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen. Aber die Angelegenheit ist …« Er atmete hörbar ein, sah wieder eine Sekunde lang Katrin und eine deutlich längere Zeitspanne Jan an und begann dann neu. »Sie wissen vermutlich, warum Ihr Bruder gestern bei mir war.«
»Ich wußte bisher nicht einmal, daß er bei Ihnen war«, antwortete Jan.
»Nun, er hat ein paar Fragen gestellt. Und ich muß gestehen, daß mich diese Fragen ziemlich verwirrt haben.«
»Wieso?« fragte Jan.
»Erinnern Sie sich an unser Gespräch im Krankenhaus?« fragte Mertens anstelle einer Antwort. »Ich habe gesagt, ich wäre im Kino gewesen, um nach neuen Kunden für unsere Klinik zu suchen. Natürlich war das nur ein Scherz.« Er atmete erneut tief und hörbar ein und fügte hinzu: »Aber es war auch etwas Wahrheit daran.«
»Wie bitte?« fragte Katrin. Vera legte den Kopf auf die Seite und starrte Mertens durch ihre geschwärzten Brillengläser hindurch an, aber er schien sie immer noch nicht zu bemerken.
»Sehen Sie, Herr Feller«, begann er auf die umständliche Art eines Menschen, der nicht genau wußte, wie er das, was er zu sagen hatte, am besten formulierte, »ich habe keine Sekunde lang an Ihren Worten gezweifelt, als Sie mir erzählt haben, daß Sie weder Herz- noch Kreislaufprobleme haben. Ich bin nicht unfehlbar, aber ich glaube, ich bin ein ganz brauchbarer Arzt, und nachdem ich Sie untersucht hatte, bin ich zu dem Schluß gekommen, daß Sie ein Herz wie ein junger Ochse haben. Sie hätten keinen Herzanfall erleiden dürfen.«
»Aber sagten Sie nicht selbst, daß so etwas manchmal vorkommt?«
»Sechzehnmal, in drei Wochen?«
Jan starrte ihn an. »Wie bitte?«
»Sie waren nicht der erste«, bestätigte Mertens. »Den armen Burschen und Sie mitgezählt, den es am gleichen Abend erwischt hat, waren es sechzehn Fälle in den letzten dreieinhalb Wochen.«
»Alle in diesem Kino?« fragte Katrin ungläubig.
»Entweder das oder in der unmittelbaren Nähe«, sagteMertens. »Und Ihr Freund ist der erste, der es überlebt hat. Alle anderen waren bereits tot, als sie ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Deshalb war ich an diesem Abend im ›Cinedom‹. Seit einer Woche verbringe ich praktisch meine gesamte Freizeit dort.«
»Weshalb?« fragte Katrin. »Um sofort Erste Hilfe leisten zu können?«
»Auch das«, bestätigte Mertens ernst. »Aber vor allem, weil ich nach jemandem wie Jan gesucht habe. Nach einem Überlebenden.«
»Und wozu?«
»Um den Grund herauszufinden«, sagte Mertens. »Manchmal schlägt der Tod einfach so zu, und niemand kann sagen warum. Aber nicht so oft. Nicht sechzehnmal in drei Wochen. Es muß eine Verbindung geben. Einen gemeinsamen Nenner.«
»Sie meinen, daß es eben keine natürlichen Todesfälle waren?« fragte Katrin. »Irgendeine … Vergiftung? Eine unbekannte Krankheit vielleicht?«
Mertens hob die Schultern. »Die Crux an unbekannten Krankheiten ist, daß niemand sie kennt«, sagte er. »Es muß einen Auslöser geben. Irgendeinen gemeinsamen Nenner. Etwas, das alle gegessen haben. Das alle getan haben. Wo alle gewesen sind.« Er hob hilflos die Schultern.
»Können Sie ein Verbrechen ausschließen?«
»So lange ich nicht weiß, woran die
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