Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
Haustür unten hörte.
Katrin und Vera waren noch zusammen im Wohnzimmer, als er zurückkam. Sie unterhielten sich leise, und der Anblick erinnerte Jan wieder daran, wie vollständig Mertens das sonderbare Mädchen ignoriert hatte. Es war nicht etwa der Umstand, daß Mertens sie keines Blickes gewürdigt hatte, etwa ihres ausgeflippten Äußeren wegen. Nein, es war so, als wäre sie für ihn wirklich nicht dagewesen. Er hätte das, was er gesagt hatte, niemals in Gegenwart einer Fremden gesagt.
Katrin und Vera unterbrachen ihr Gespräch, als er eintrat, und Katrin sah zu ihm hoch. »Ist er weg?«
»Sicher.«
»Das war ja eine ziemlich abgefahrene Geschichte, die er da erzählt hat«, sagte Vera.
»Aber dir scheint sie gefallen zu haben«, fügte Katrin hinzu.
Jan gestattete sich nicht, Ärger zu empfinden. Er würde die Sache klären, aber auf seine Weise.
»Komm mit«, sagte er ruhig. »Ich möchte dir etwas zeigen.«
Katrin maß ihn mit einem sonderbaren Blick. Er konnte ihrer Haltung ansehen, daß sie sich umdrehen und einen fragendenBlick mit Vera tauschen wollte – fast als brauche sie ihre Erlaubnis, um seiner Aufforderung zu folgen. Aber er kam der Bewegung zuvor und drehte sich so schnell herum, wie es gerade noch ging, ohne überhastet zu wirken, und Katrin folgte ihm ganz automatisch. Als sie sah, daß er die Dunkelkammer ansteuerte, zögerte sie unmerklich, und ein nicht besonders erfreuter Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht; sie nahm wahrscheinlich an, daß er nur mit ihr in die Dunkelkammer gehen wollte, um dort ungestört mit ihr zu reden – was im Moment für sie bedeuten mußte: ihr Vorwürfe zu machen.
Jan tat nichts, um dieses Mißverständnis aufzulösen, sondern blieb mit der Hand auf der Türklinke stehen, bis sie an ihm vorbeigegangen und in den winzigen Raum getreten war, dann schloß er die Tür, schaltete das Licht ein und legte anschließend mit einer übertrieben sorgfältigen Bewegung den kleinen Riegel vor.
Katrin folgte allem, was er tat, mit mißtrauischen Blicken und unangenehm berührtem Gesichtsausdruck. Für einen ganz kurzen Moment glaubte er fast so etwas wie Furcht in ihren Augen zu lesen, vollkommen absurd, aber trotzdem real. Denn so wenig wie er jemals eine Tür in dieser Wohnung hinter sich abgeschlossen hatte, so wenig hatte er sie jemals eingesperrt.
Eine winzige Bewegung hätte gereicht, um diese Furcht zu zerstreuen, ein Lächeln, ein entsprechender Blick, eine Geste. Aber er wollte es nicht. Nicht in diesem Moment. So unfair, wie sich Katrin seit ein paar Tagen ihm gegenüber verhielt, gönnte er ihr diese Augenblicke des Zweifels – und noch viel mehr das schlechte Gewissen, das sie plagen würde, wenn sie begriff, welches Unrecht sie ihm angetan hatte, und sei es nur in Gedanken.
Immer noch wortlos trat er an den Projektor, schaltete das Gerät ein und starrte auf die leere, rechteckig erhellte Fläche darunter.
»Also?« fragte Katrin. »Was willst du mir denn so Wichtiges zeigen?«
Jan antwortete nicht. Er hob eine zitternde Hand, klappte das Gerät auf und starrte mit der gleichen Verständnislosigkeit, mit der er gerade das helle Rechteck darunter angestarrt hatte, die leere Fläche an, die ihm dort entgegengrinste, wo sich noch vor einer kleinen Weile der Negativstreifen befunden hatte.
»Was ist los?« fragte Katrin. Ihre Stimme klang alarmiert – sie mußte seine Anspannung bemerkt haben –, aber zugleich schon wieder ein wenig trotzig.
Jan schwieg noch immer. Er klappte den Projektor wieder zu, drehte den Kopf nach rechts und erblickte dasselbe wie gerade: Nichts. Nicht nur der Negativstreifen, den er eingelegt hatte, war spurlos verschwunden, auch die anderen waren nicht mehr da.
»Er ist weg«, sagte er.
» Wer ist weg?« erkundigte sich Katrin.
»Der Film.« Jan machte eine fahrige Geste in die Richtung, in der die Negative gelegen hatten. »Er hat dort gelegen. Vorhin. Als du mich gerufen hast. Jetzt ist er weg.«
»Unsinn!« Katrin trat kopfschüttelnd neben ihn. »Du mußt dich irren. Überleg mal genau, wo du ihn hingelegt hast. Hier drinnen war doch niemand.«
»Aber ich sage doch, er hat hier gelegen«, beharrte Jan. »Ich war dabei, die ersten Abzüge zu machen, als du mich gerufen hast.«
Er öffnete eine Schublade, nahm den Karton mit Fotopapier heraus, den er vorhin hineingelegt hatte, und hob den Deckel ab. Nicht, daß es nötig gewesen wäre. Er wußte hundertprozentig, daß er nur das Blatt Fotopapier hineingetan
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