Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkel ist die Zukunft

Dunkel ist die Zukunft

Titel: Dunkel ist die Zukunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
obwohl Charity sie immer noch nicht richtig erkennen konnte, bekam sie ein ziemlich mulmiges Gefühl. Eine sonderbare Erinnerung blitzte in ihren Gedanken auf und erlosch sofort wieder. Sie entschloß sich anzuhalten. Ächzend stemmte sie die Maschine auf den Ständer, kletterte umständlich auf den Sattel und löste den Feldstecher von ihrem Gürtel. Aus den drei oder vier Dutzend ameisengroßen Punkten wurde eine riesige Armee elefantengroßer braunschwarzer Giganten, die vor ihr über die Ebene zog. Charitys Hände krampften sich so fest um das Glas, als sie begriff, womit sie es zu tun hatte: Es waren keine Ameisen, aber die Assoziation war gar nicht so falsch gewesen. Die Tiere ähnelten gigantischen, sechsbeinigen Käfern, deren Rückenpanzer im Licht der Morgensonne wie polierter Stahl glänzte. Aus den riesigen Schädeln stachen gewaltige Zangen, und selbst über die große Entfernung hinweg glaubte Charity das boshafte Funkeln zu erkennen, das in ihren buntschillernden Facettenaugen glomm. Trotz ihrer fast absurden Größe bewegten sich die Tiere erstaunlich schnell und in fast militärischer Präzision. Aber das war kein Zufall. Im Nacken jedes dieser Gigantenkäfer hockte eine dürre, glänzende Gestalt, die an einen mittelalterlichen Ritter in einer schwarzen Rüstung erinnerte. Nur daß diese Reiter statt zwei vier Arme besaßen. Mehr erschüttert als erschrocken setzte Charity den Feldstecher ab, fuhr sich nervös mit der Hand über das Gesicht und blickte dann erneut zu der grotesken Karawane hinüber. Sie war ein wenig näher gekommen, aber wenn sie ihren Kurs nicht plötzlich änderte, bestand kaum Gefahr. Sie würde meilenweit an ihr vorübermarschieren. Diese schrecklichen Kreaturen sah sie nicht zum ersten Mal; weder die titanischen Käferdinger noch ihre Reiter. Sie hatte gegen sie gekämpft, sie war vor ihnen geflohen, sie hatte ein paar von ihnen erschossen und sie hatte mit angesehen, wie ihre Kameraden von diesen Ungeheuern in Stücke gerissen worden waren, aber selbst die Erinnerung an diese schrecklichen Szenen berührten sie kaum. Alles, was sie fühlte, war Entsetzen. Charity taumelte wie unter einem Schlag. Mit letzter Kraft schaffte sie es, vom Sattel der Harley herunterzuspringen und sich taumelnd neben der Maschine in den Sand sinken zu lassen. Ihre Finger hatten plötzlich nicht einmal mehr die Kraft, das Fernglas zu halten. Und jetzt, fast vierundzwanzig Stunden nach ihrem Erwachen, schlug die Erinnerung mit aller Macht zu. Sie waren da!
    Vor ihr, nur ein paar Meilen entfernt, und zu real, um sie weiter aus ihren Gedanken zu verdrängen. Plötzlich begriff sie, warum sie wirklich hier war, daß es sie nicht wie eine weibliche Ausgabe Robinson Crusoes einfach an die Ufer eines fremden Landes verschlagen hatte, sondern daß sie geflohen war, geflüchtet aus einer Welt, die unter dem Ansturm einer Armee menschenfressender Insektenmonster aus dem Weltraum auseinanderbrach, geflohen vor dem Ansturm einer fremden, unbegreiflichen Macht, die die Zivilisation der Erde mit unbegreiflichen Mitteln und aus unerfindlichen Gründen einfach niederwalzte. Sie waren hier. Hier! Egal, wie weit sie in die Zukunft geflohen war, Charity begriff ganz plötzlich, daß es nicht mehr ihre Welt war, in der sie sich befand, sondern daß sie den Außerirdischen gehörte, ein ... ein Planet der Ungeheuer, auf dem die Menschen allerhöchstens noch geduldet waren. Die Karawane der Ungeheuer schob sich langsam von Westen nach Osten über den Horizont und verschwand schließlich. Aber es verging noch mehr als eine Stunde, bis Charity die Kraft fand, sich wieder in den Sattel der Harley zu ziehen und weiterzufahren. Gegen Mittag fand sie die Farm. Sie war nur noch eine ausgebrannte Ruine, und sie hätte sie wahrscheinlich übersehen, hätte sie nicht alle zwanzig oder dreißig Minuten haltgemacht, um sich mit dem Fernglas umzuschauen. In den Gebäuden rührte sich nichts, und doch hatte sie das vage Gefühl, dort auf Menschen zu treffen. Sie fuhr weiter, umkreiste die Farm einmal in sicherem Abstand und lenkte das Motorrad schließlich auf das ehemalige Wohnhaus zu. Auch in diesem Gebäude hatte ein Feuer getobt, aber wenigstens stand das Dach noch, während die Schuppen und Ställe der Farm nicht einmal mehr baufällig waren; es waren Trümmer, die wie das Skelett eines verkohlten Riesentieres aussahen. Wo früher ein Getreidesilo gestanden haben mußte, gähnte ein breiter Krater, auf dessen Grund sich

Weitere Kostenlose Bücher