Dunkel ueber Longmont
kaum vernünftig klang –, daß man auch ihn umbringen würde, sollten die Days je dahinterkommen, daß er diese Lehren gelesen hatte.
Aus dem hinteren Buchdeckel fielen fünf dünne Blätter mit einem kleinen Diagramm und dem folgenden Brief heraus: Mein lieber Sylvarresta!
Erinnert Ihr Euch noch an Binya, als wir über jene Männer sprachen, die gegen mich rebellierten und behaupteten, ich hätte mir ihre Brunnen einverleibt, um mein Vieh zu tränken? Man hatte mir beigebracht, als Prinz gehöre alles Land in meinem Reich mir, wie auch die Menschen darauf. Diese Dinge standen mir per Geburtsrecht zu, wurden mir von den Mächten gewährt. Also plante ich, die Männer für ihren Diebstahl zu bestrafen.
Ihr jedoch trugt mir auf, statt dessen mein Vieh zu schlachten, denn Ihr wart der Ansicht, jeder Mann sei auf seinem Land ein Lord, und das Leben meiner Tiere solle meinem Volk zugute kommen, nicht umgekehrt.
Ihr sagtet, Runenlords könnten nur dann herrschen, wenn das Volk uns liebt und uns dient. Von ihm hängt es ab, ob wir regieren.
Eure Ansichten schienen wundersam exotisch, jedoch ich beugte mich Eurer Weisheit. Seitdem habe ich Jahre damit verbracht, darüber nachzudenken, was gerecht ist und was nicht.
Wir beide haben schon Bruchstücke von verbotenen Lehrsätzen aus dem Saal der Träume gehört, in letzter Zeit jedoch habe ich etwas höchst Geheimnisvolles von dort erfahren. Ich überlasse Euch dieses Diagramm als Anleitung:
Die drei Sphären des Menschen: Im Saal der Träume bringt man den Days bei, selbst der häßlichste Spatz wisse, daß er ein Lord der Lüfte ist, und er im Herzen ahnt, daß ihm alles gehört, auf das sein Auge fällt.
In diesem Saal wird gelehrt, daß alle Menschen gleich sind. Jeder Mensch definiert sich als sein eigener Lord und erbt das Geburtsrecht dreier Sphären. Der sichtbaren Sphäre jener Dinge, die wir sehen und berühren können, der gemeinschaftlichen Sphäre, die aus unseren Beziehungen zu anderen besteht, und der unsichtbaren Sphäre Bereiche, die wir nicht sehen können, die wir aber dennoch schützen.
Während manche lehren, daß die Mächte über Gut und Böse entscheiden, Könige in ihrer Autorität bestätigen oder Veränderungen der Zeit und den Umständen entsprechend festlegen, so sagen die Days, das Verständnis für Gut und Böse sei uns angeboren, und die gerechten Gesetze der Menschheit stünden in unseren Herzen geschrieben. Sie lehren, die drei Sphären seien das einzige Mittel, mit dem die Menschheit Gut und Böse unterscheidet.
Verletzt ein Mann unsere Sphäre, trachtet er danach, uns unser Geburtsrecht zu nehmen, so nennen wir ihn »böse«. Trachtet ein Mann nach unserem Besitz oder Leben, greift er unsere Familie, unsere Ehre oder unsere Gemeinschaft an, hat er es auf unseren freien Willen abgesehen, dürfen wir uns zu Recht verteidigen.
Andererseits beschreiben die Days Güte als freiwillige Vergrößerung der Sphäre eines anderen. Schenkt Ihr mir Geld oder Besitz, laßt Ihr mir eine Ehre zuteil werden oder fordert Ihr mich auf, Euer Freund zu sein, seid Ihr hilfsbereit, dann bezeichne ich Euch als gut.
Diese Lehren der Days sind in ihren Folgerungen so anders als das, was ich von meinem Vater gelernt habe. Der lehrte mich, die Mächte hätten mich zum Lord meines Reiches bestimmt Es war mein Recht, daher konnte ich mir eines jeden Mannes Besitz aneignen, die Liebe einer jeden Frau – denn diese Dinge gehörten mir.
Jetzt bin ich verwirrt. Ich halte daran fest, was mein Vater mich lehrte, doch in meinem Herzen spüre ich, daß dies nicht richtig ist.
Ich fürchte, alter Freund, wir unterliegen dem Urteil der Days, und dieses Diagramm gibt den Maßstab vor, an dem wir gemessen werden. Ich weiß, wie sie uns beeinflussen wollen denn nach ihrem eigenen Maßstab wäre es »böse«, uns zu töten.
In einigen Büchern steht, die Glorien hätten die Lords mit den Days gepaart in alter Zeit jedoch wurden die Days »die Hüter der Träumer« genannt. So frage ich mich also: Ist es möglich, daß die Days uns auf seltsame Art beeinflussen wollen? Beeinflussen sie unser Hoffen und Streben? Seltsam genug, daß sie die Chronik unseres Lebens schreiben – doch stimmt die Chronik überhaupt? Haben die Helden, deren Nachahmung wir anstreben, überhaupt existiert? Waren diese Männer nach ihrem eigenen Verständnis Helden?
Oder wollen die Days die Wahrheit zu Zwecken manipulieren, die wir nicht einmal ahnen?
Also habe ich heimlich diese Chronik
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