Dunkel ueber Longmont
rechts lagen Tausende von Weinflaschen neben Fässern mit Bier, Whiskey und Rum.
Der Lagerraum reichte sicher einhundert Fuß tief in den Hang hinein.
Ein bedrohliches Durcheinander von Gerüchen breitete sich aus – getrocknete Gewürze, frische Gewürze, Staub und Moder. Gaborn wußte, er hatte ein sicheres Versteck gefunden. Hier unter der Erde, in den entlegenen Lagern unterhalb des Hügels, konnte ihn kein Jäger aufspüren.
Er schloß die große Tür, begab sich mit einer Laterne in eine entlegene Ecke des Kellers, stapelte ein paar Kisten aufeinander, um ein kleines Versteck zu bauen, dann legte er Rowan dahinter ab.
Er ließ sich neben ihr nieder, wärmte sie mit seinem Körper, und eine Weile schlief er an ihren Rücken geschmiegt.
Als er aufwachte, hatte Rowan sich umgedreht und sah ihm in die Augen. Er spürte einen Druck auf seinen Lippen und merkte, daß sie ihn gerade wachgeküßt hatte. Sie atmete leise.
Rowan hatte dunkle Haut, dichtes, glänzendes, schwarzes Haar und ein sanftes, einfühlsames Gesicht. Schön war sie nicht, entschied er, allenfalls hübsch. Nicht wie Iome oder gar Myrrima. Diese beiden waren mit Gaben gesegnet, die sie zu etwas Übermenschlichem machten. Die beiden hatten Gesichter, die einen Mann seinen Namen vergessen lassen oder ihn jahrelang verfolgen konnten, wenn er nur einen flüchtigen Blick auf sie geworfen hatte.
Sie küßte ihn abermals sanft und sagte leise: »Danke.«
»Wofür?« fragte Gaborn.
»Daß Ihr mich warmgehalten habt. Daß Ihr mich mitgenommen habt.« Sie schmiegte sich enger an ihn, breitete sein Gewand über sie beide aus. »Ich habe mich nie so…
lebendig gefühlt… wie jetzt in diesem Augenblick.« Sie nahm seine Hand, legte sie an ihre Wange und wollte, daß er sie streichelte.
Gaborn traute sich nicht. Er wußte, was sie wollte. Sie war soeben für die Welt der Empfindungen wiedererweckt worden. Sie sehnte sich nach seinen Zärtlichkeiten – nach der Wärme seines Körpers, seinen Berührungen.
»Ich glaube nicht, daß… ich das tun sollte«, meinte Gaborn und drehte ihr den Rücken zu. Er spürte, wie sie sich verletzt und verlegen versteifte.
Er blieb einen Augenblick lang liegen, ohne auf sie zu achten, dann griff er in die Tasche seines Hemdes und zog das Buch hervor, das König Sylvarresta ihm zuvor am selben Tag gegeben hatte. Die Chronik von Vhindyn ihn Owatt, Emir von Tuulistan .
Der schafslederne Einband war weich und neu. Die Tinte roch frisch. Gaborn schlug das Buch auf und befürchtete, er würde die Sprache nicht lesen können. Doch der Emir hatte es bereits übersetzt.
Auf das Deckblatt hatte er mit ausladender, kräftiger Handgeschrieben:
Meinem geliebten Bruder in Rechtschaffenheit, König Jas Laren Sylvarresta, zum Gruß!
Achtzehn Jahre ist es jetzt her, daß wir in der Oase nahe Binya zusammen zu Abend gegessen haben, trotzdem denke ich oft liebevoll an Euch. Es waren harte Jahre, voller Schwierigkeiten. Ich überreiche Euch ein letztes Geschenk: dieses Buch.
Ich bitte Euch, zeigt es nur jenen, denen Ihr vertrauen könnt.
Die Warnung versetzte Gaborn in Erstaunen. Am unteren Seitenrand war dem Emir der Platz ausgegangen, und er hatte auf eine Unterschrift verzichtet.
Er machte sich bereit, das Buch auswendig zu lernen. Mit zwei Gaben der Geisteskraft war dies ein kühnes Unterfangen, aber nicht unmöglich.
Er las schnell. Die ersten zehn Kapitel erzählten vom Leben des Emirs – von seiner Jugend, seiner Ehe und den familiären Bindungen, den Einzelheiten der Gesetze, die er verfaßt hatte, seinen Taten. Die nächsten zehn erzählten von zehn Schlachten, die Raj Ahten geschlagen hatte, Feldzüge gegen ganze Königsgeschlechter.
Der Wolflord begann zuerst die kleineren Familien aus Indhopal zu vernichten, die er am meisten verabscheute. Es war nicht sein Ziel, Burgen einzunehmen oder eine Stadt bankrott zu machen, sondern ganze Ahnenreihen zu dezimieren. Denn im Süden verlangte der Ehrenkodex, daß man seine Verwandten rächte.
Umgeben von den Reitern aus Deyazz griff er in der einen Stadt einen Palast an, metzelte dann die Übereignerpferde derer hin, die der Stadt zur Hilfe kommen konnten, während er an einer anderen Front zusätzlich Kinder als Geiseln nahm.
Er überwältigte seine Widersacher mit mehreren Attacken zur gleichen Zeit.
Gaborn erkannte rasch, daß Raj Ahten ein Meister der Täuschung war. Stets konnte man ein Messer in seiner rechten Hand aufblitzen sehen, während seine Linke mit etwas
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