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Dunkel ueber Longmont

Dunkel ueber Longmont

Titel: Dunkel ueber Longmont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Farland
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das Diagramm legte Gaborn nahe, daß Gerechtigkeit und Tugend nicht dasselbe waren. Ein guter Mensch vergrößerte die Sphären von anderen, schützte nicht bloß seine eigene. Daher mußte man sich bei der Ausübung von Gerechtigkeit entscheiden: War es in einer bestimmten Situation besser, ein gerechter Mann zu sein oder ein guter?
    Gebe ich dem Mann etwas, der mich beraubt? Lobe ich den Mann, der mich verleumdet?
    Wenn Gaborn gut sein wollte, blieb ihm kaum etwas anderes übrig. Aber wenn er ein Beschützer seines Volkes sein wollte, war das nicht ebenso gut? Und wenn er danach trachtete, sein Volk zu schützen, konnte er es sich nicht leisten, tugendhaft zu sein.
    Diese Lehren waren verwirrend. Vielleicht verbargen sie ihre Theorien aus Mitleid vor den Runenlords. Nach den Maßstäben der Days war es schwer für einen Mann, tugendhaft zu sein. Raj Ahten hat es auf mein Reich abgesehen. Ihren Maßstäben zufolge müßte ich es ihm, wäre ich »gut«, schenken.
    Vielleicht bestand die größere Tugend eines Lords darin, unabhängig zu sein?
    Er fragte sich, ob die Days selbst überhaupt den tieferen Sinn ihres Diagramms begriffen. Möglicherweise waren es nicht drei Sphärenkreise, sondern mehr. Vielleicht konnte er, wenn er die einzelnen Typen innerhalb der Sphären umgruppierte, so daß neun Kreise entstanden, besser abschätzen, wie man auf die Verletzung eines von ihnen reagieren sollte.
    Er dachte über Raj Ahten nach. Der Wolflord verletzte die Sphären der Menschen auf jeder Ebene. Er nahm ihnen ihren Besitz und ihr Zuhause, zerstörte Familien, mordete, vergewaltigte und nahm Sklaven.
    Gaborn mußte sich und sein Volk vor dieser Bestie schützen, die die Welt verwüsten würde. Aber er konnte Raj Ahten nicht einfach Angst einjagen, konnte den Mann weder einschüchtern noch vernünftig mit ihm sprechen oder ihn entmutigen, indem er ihn beim Volk bloßstellte.
    Gaborn konnte nur eines zur Rettung seines Volkes tun: einen Weg finden, Raj Ahten zu töten.
    Er lauschte aufmerksam auf die Erde, ob dies ihr Wille sei, spürte jedoch keine Reaktion – kein Beben des Bodens und kein brennendes Verlangen in seinem Herzen.
    Zur Zeit kam er nicht an den Wolflord heran. Raj Ahten war zu mächtig. Trotzdem glaubte Gaborn ihm nachspionieren und vielleicht herausfinden zu können, wie er ihn am besten verwunden konnte. Vielleicht besaß sein Feind besonders geschätzte Übereigner, die ihn begleiteten, oder vielleicht trieb ein bestimmter Berater den Wolflord unablässig zu Eroberungen an.
    Eventuell konnte Gaborn Derartiges aufdecken. Aber zuerst mußte er näher an ihn heran. Er mußte einen Weg in die inneren Bereiche der Burganlage finden.
    Ob die Erde wohl einverstanden damit wäre? Soll ich gegen Raj Ahten kämpfen? Breche ich meinen Eid, wenn ich es tue?
    Es schien ein guter, ein gewagter Plan zu sein, dem Wolflord nachzuspionieren, seine Schwächen in Erfahrung zu bringen.
    Gaborn hatte sich bereits eine Art Tarnung in der Burg der Übereigner verschafft, als Aleson der Eiferer.
    Wenn sie kurz nach Tagesanbruch ans Tor des Bergfrieds der Übereigner gingen und ein paar Gewürze mitnähmen, konnten sie sich vielleicht Einlaß verschaffen.
    Die ganze Nacht über lag Gaborn wach und grübelte…
    Die Sonne ging rosa im Osten auf, und fröstelnd schlichen sich Gaborn und Rowan am frühen Morgen aus dem Gewürzlager, kleine Päckchen mit Petersilie und Pfefferminze in der Hand.
    Vom Fluß kroch Bodennebel hoch, über die Mauern hinweg, und legte sich wie eine Decke über die Felder. Die aufgehende Sonne färbte den dichten Dunst golden.
    Draußen vor der Tür blieb Gaborn stehen und schmeckte den Nebel. Er hatte den eigenartigen, durchdringenden Geruch von Meersalz, der eigentlich gar nicht hätte dasein sollen. Fast hörte er die Möwen schreien und sah Schiffe, die aus dem Hafen ausliefen. Er löste in ihm eine Sehnsucht nach der Heimat aus – Gaborn glaubte aber, daß er sich den Geruch nur einbildete.
    Die morgendlichen Geräusche unterschieden sich nicht von anderen Tagen. Noch immer irrten Rinder und Schafe in der Burganlage umher, ihr Muhen und Blöken erfüllte die Luft. In ihren Nestern zwischen den Schornsteinen der Häuser krächzten lauthals Dohlen. Der Schmiedehammer klirrte, und aus der Küche des Bergfrieds der Soldaten konnte man riechen, wie frisches Brot gebacken wurde. Doch über dem üppigen Duft des Essens, sogar über dem Meeresdunst, lag der beißende Geruch verbrannter Gräser.
    Gaborn hatte

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