Dunkel ueber Longmont
Stunden zu Fuß zurücklegen konnte, die meisten seiner Bogenschützen dürften aber kaum mehr als eine Gabe des Stoffwechsels besitzen. Solche Soldaten brauchten mindestens einen Tag bis nach Longmot.
Der Wolflord würde seine Nomen zurücklassen müssen. Sie wären auf dem Marsch nur hinderlich. Die Riesen und die Kampfhunde hielten eine solche Tortur jedoch aus.
»Aber«, bedrängte ihn Feykaald, »was wird aus Euren Übereignern hier? Ihr habt zweitausend im Bergfried. Wir haben weder ausreichend Pferde, um sie zu transportieren, noch genug Wachen, um alle zu beschützen.« Auch er hatte sein Augenmerk auf die Logistik gerichtet.
Raj Ahtens Antwort war entmutigend. »Wir lassen keine Krieger hier, die den Bergfried der Übereigner bewachen.«
»Was?« fragte Feykaald. »Ihr fordert Orden geradezu zum Angriff auf. Man wird Eure Übereigner töten!«
»Natürlich«, sagte Raj Ahten. »Aber wenigstens dient ihr Tod einem höheren Zweck.«
»Einem höheren Zweck? Welchem höheren Zweck sollte ihr Tod dienen?« fragte Feykaald verwirrt.
Doch plötzlich erkannte Jureem den Plan in seiner ganzen Grausamkeit und Größe: »Ihre Ermordung wird die Parteilichkeit fördern«, folgerte Jureem. »Jahrelang haben die Völker im Norden sich gegen uns zusammengeschlossen.
Aber wenn Orden Sylvarrestas Übereigner tötet – was er muß –, wenn er seinen ältesten und treuesten Freund vernichtet, was gewinnt er dadurch? Vielleicht schwächt er uns ein paar Tage lang, doch sich selbst schwächt er für immer. Selbst wenn er mit den Zwingeisen entkommen sollte, werden die Lords des Nordens Orden fürchten. Mancher hier in Heredon wird über ihn erzürnt sein, sich vielleicht sogar an ihm rächen wollen. All das wird gegen die Familie Orden arbeiten – und die Vernichtung von Orden ist der Schlüssel für die Übernahme des Nordens.«
»Ihr seid äußerst weise«, stellte Feykaald leise mit ehrfurchtsvoller Stimme fest und warf erst Raj Ahten, dann Jureem einen flüchtigen Blick zu.
Doch die Verschwendung betrübte Jureem. So viele Menschen gingen durchs Leben, zufrieden damit, nichts zu tun und nichts zu sein. Es war klug, von solchen Menschen Gaben zu übernehmen, sie einer Bestimmung zuzuführen.
Aber das Leben der Übereigner auf diese Weise zu vergeuden – das war eine große Schande.
Jureem und Feykaald riefen ein paar knappe Befehle, und Augenblicke später erwachte die Burg zum Leben. Die Truppen bereiteten sich auf den Abmarsch vor. Überall wimmelte es von Soldaten.
Raj Ahten, der mit seinen Gedanken allein sein wollte, machte sich auf den Weg durch die schmalen, gepflasterten Straßen, ging an den Stallungen des Königs vorüber – einigen neuen Gebäuden aus Holz, die zwei Stockwerke hoch waren.
Im oberen Stock waren Heu und Getreide untergebracht. Im Erdgeschoß die Pferde.
Seine Leute waren überall, beanspruchten die besten Hengste, die sie fanden, für sich, brüllten den Stallburschen Befehle zu.
Im Vorübergehen blickte Raj Ahten in mehrere offenstehende Türen hinein. Einige Übereignerpferde waren in Ställen untergebracht, viele von ihnen hingen in Schlingen, wo die Stallmeister die unglücklichen Tiere hegten und pflegten.
Schwalben schossen, aufgeregt pfeifend, durch die offenen Türen ein und aus.
In den Stallungen kam ungeheure Geschäftigkeit auf. Nicht nur Sylvarrestas Pferde waren hier untergebracht, sondern auch einige von Raj Ahtens edleren Tieren hatte man am vergangenen Abend hier eingestellt, damit sie von den Stallmeistern des Wolflords versorgt werden konnten.
Er besaß genügend gute Schlachtrösser, um eine stattliche Kavallerie zu versorgen.
Raj Ahten betrat geduckt den letzten Stall. Der Geruch von Mist und Pferdeschweiß hing in der Luft. Mit seinem überentwickelten
Geruchssinn
reagierte
er
äußerst
empfindlich auf einen solchen Gestank. Sein Stallmeister wusch die Pferde des Gebieters zweimal täglich mit Lavendelwasser und Petersilie, um diese ekelhaften Gerüche abzumildern.
Vorne in den Stallungen stand neben einer Pferdebox ein Junge mit dunklem Haar. Er hatte einem Kraftpferd das Zaumzeug angelegt – einem guten, nach der Zahl seiner Runen zu urteilen –, striegelte es gerade und machte es sattelfertig. Mehrere ebenso vortreffliche Pferde warteten daneben. Der Junge war im Gesicht zu blaß, um einer von Raj Ahtens Stallburschen zu sein, er mußte von Sylvarresta übernommen worden sein.
Als Raj Ahten hereinkam, drehte er sich um und schaute nervös
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