Dunkel ueber Longmont
das wußte Jureem. Vielleicht wollte Orden sie aus Burg Sylvarresta heraus und in einen Hinterhalt locken. Aber das ganze Leben bestand aus Risiken. Und Raj Ahten konnte sich schlecht erlauben, die Hände in den Schoß zu legen.
Er hatte sechs Gaben des Stoffwechsels übernommen.
Dadurch war er in der Lage, die Pläne der Meuchelmörder zu durchkreuzen, die es immer wieder auf ihn abgesehen hatten.
Doch die Übernahme so vieler Gaben barg eine große Gefahr die Aussicht auf einen frühen Tod. Gaben des Stoffwechsels konnten als Waffe gegen ihren Besitzer dienen. Tatsächlich war, der Legende nach, in einem Fall ein Übereigner, der einem großen König eine Gabe des Stoffwechsels überlassen hatte, von den Feinden dieses Königs entführt worden.
Daraufhin hatten die Feinde dem Übereigner Hunderte von Gaben des Stoffwechsels zugeführt und ihn in einen Vektor verwandelt, so daß der König in wenigen Wochen an Altersschwäche starb. Aus diesem Grund hatte Raj Ahten alle seine Gaben des Stoffwechsels durch einen einzigen Übereigner vektoriert, einen Mann, den er stets in seiner Nähe behielt, für den Fall, daß er den Mann töten und die Verbindung kappen mußte.
Wenige Könige wagten, mehr als eine oder zwei Gaben des Stoffwechsels zu übernehmen. Mit seinen sechs konnte Raj Ahten schneller laufen als jeder andere Mann. Doch er alterte auch sechsmal schneller. Und obwohl Jureems Herr viele tausend Gaben des Durchhaltevermögens besaß und mit unglaublicher Anmut altern würde, so wußte Jureem doch, daß der menschliche Körper so beschaffen war, daß er mit der Zeit verschliß. Sein Herr war zweiunddreißig Jahre alt, wegen seiner vielen Gaben des Stoffwechsels jedoch war er um sehr viel mehr gealtert. Körperlich war er Anfang Neunzig.
Raj Ahten konnte weder hoffen, viel länger als bis zum biologischen Alter von einhundertzehn Jahren zu leben, noch konnte er ohne seine Gaben überleben.
Erst wenige Jahre zuvor hatte Raj Ahten den unglückseligen Fehler begangen, einige seiner Übereigner zu erschlagen, um seinen Alterungsprozeß zu bremsen. Bereits eine Woche später jedoch hatte ein Meuchelmörder aus dem Norden den Wolflord beinahe getötet. Seitdem war Raj Ahten gezwungen, diese einsame Last des schnellen Stoffwechsels geduldig zu ertragen.
Drei Jahre. Er mußte die Welt einen, um innerhalb dreier Jahre zur Summe aller Menschen zu werden, oder er würde sterben. Ein Jahr, den Norden zu einigen. Zwei, den Süden einzunehmen. Wenn Jureems Herr starb, konnte leicht die Hoffnung der gesamten Menschheit mit ihm sterben. So mächtig waren die Greifer.
»Wir ziehen also nach Longmot«, sagte Raj Ahten. »Was ist mit Ordens Armee im Dunnwald?«
»Mit welcher Armee?« fragte Jureem, wegen vieler kleiner Hinweise sicher, daß keine große Gefahr drohte. »Habt Ihr eine Armee gesehen? Ich habe gehört, wie Hörner im Wald geblasen wurden, aber habe ich eintausend Pferde wiehern hören? Nein! Ordens Nebel diente lediglich dazu, seine Schwäche zu verbergen.«
Jureem schaute mit zusammengekniffenen Augen zu seinem Gebieter hoch. Seine Fettleibigkeit, sein kahler Kopf ließen ihn wie einen Einfaltspinsel aussehen, doch Raj Ahten wußte schon seit langem, daß sein Berater in jeder Hinsicht so gefährlich war wie eine Kobra. Jureem ertappte sich, wie er vorschlug: »Ihr habt zwanzig Legionen, die auf Longmot zumarschieren – eine Armee, der Orden nichts entgegenzusetzen hat, nicht, wenn Ihr an unserer Spitze kämpft. Wir müssen die Burg einnehmen!«
Raj Ahten nickte ernst. Diese vierzigtausend Zwingeisen standen für die Arbeit Tausender Minenarbeiter und Handwerker in den vergangenen drei Jahren. Ein großes Vorkommen an Bluterz, das jetzt erschöpft war. Sie waren unersetzlich.
»Die Männer sollen sich zum Abmarsch vorbereiten«, befahl Raj Ahten. »Wir werden Sylvarrestas Schatzkammer plündern und uns die nötigen Lebensmittel in den Dörfern besorgen, durch die wir kommen. In einer Stunde brechen wir auf.«
»Und die Pferde, Mylord?« fragte Feykaald. »Wir werden Pferde brauchen.«
»Unsere Soldaten besitzen genügend Gaben, die meisten brauchen keine Pferde«, erwiderte Raj Ahten. »Pferde müssen verpflegt werden und brauchen mehr Ruhe als ein Soldat.
Meine Krieger werden zu Fuß nach Longmot gehen. Wir werden Pferde benutzen, wo immer wir können. Wir nehmen an Tieren mit, was wir hier in den Ställen finden.«
Einhundertsechzig Meilen. Jureem wußte, daß Raj Ahten diese Entfernung in wenigen
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