Dunkel ueber Longmont
ihnen Einhalt zu gebieten. Dazu brauche ich Eure Hilfe, Lord Sylvarresta, ja, die Hilfe aller Königreiche aus dem Norden. Ich bin entschlossen, die Führung zu übernehmen.«
Iome war verwirrt. Ihr Vater war offensichtlich ebenso durcheinander.
»Wir könnten sie besiegen!« sagte Lord Sylvarresta. »Die Königreiche des Nordens würden sich zu einem solchen Zweck zusammenschließen. Ihr braucht in diesen Krieg nicht allein zu ziehen!«
»Und wer soll Eure Armeen dann anführen?« wollte Raj Ahten wissen. »Ihr? König Orden? Ich? So dumm könnt Ihr nicht sein.«
Iomes Vater schien den Mut zu verlieren. Der Wolflord hatte recht. Niemand konnte die Königreiche des Nordens führen.
Es gab zu viele kleinmütige Eifersüchteleien und alte Rivalitäten. Wenn Orden eine Armee nach Süden führte, bliebe jemand zurück, um seine geschwächten Städte anzugreifen.
Und erst recht würde niemand Raj Ahten trauen, dem Wolflord. Seit Hunderten von Jahren hatten die Runenlords jeden Führer angegriffen, der nach zuviel Macht strebte und seine Hände zu weit ausstreckte. In früheren Zeiten hatten gewisse Räuber in ihrer Gier nach jedem Machtzuwachs, den sie bekommen konnten, die Zwingeisen dazu benutzt, Gaben von Wölfen zu übernehmen, und waren so als Wolflords bekannt geworden.
Männer, die einen ungeheuren Geruchssinn, ein unglaubliches Gehör wünschten, erhielten oft Gaben von Welpen, denn Hunde überließen sie ihnen gewöhnlich bereitwillig und verlangten anschließend nicht viel an Versorgung. Sogar Durchhaltevermögen oder Muskelkraft von Mastiffs, die eigens für diesen Zweck gezüchtet wurden, waren schon übertragen worden.
Doch Männer, die Gaben von Hunden akzeptierten, wurden selbst zu Untermenschen, wurden teils zum Tier. Daher bekam die beschönigende Bezeichnung Wolflord einen spöttischen Beigeschmack, da so mancher Mann mit geringer Moral so genannt wurde, einschließlich solcher Herrscher wie Raj Ahten, die nie eine Gabe von einem Hund erhalten hatten.
Kein König aus dem Norden würde sich Raj Ahten anschließen. Männer, die sich den Namen Wolflord einhandelten, wurden zu Außenseitern. Ehrenwerte Lords waren verpflichtet, die Unabhängigen Ritter bei ihren Kriegen und Auftragsmorden zu finanzieren. Ähnlich den Wölfen, die man im Schafspferch ertappte, gewährte man Wolflords keine Gnade.
»Das muß nicht so sein«, meinte Sylvarresta. »Es gibt andere Wege, diesen Krieg zu führen. Eine kleine Abordnung von Rittern aus jedem Königreich…«
»Es muß so sein«, unterbrach ihn Raj Ahten. »Ihr wagt es, mir in diesem Punkt zu widersprechen? Ich habe tausend Gaben der Geisteskraft, Ihr dagegen…«, sein Blick zuckte für einen Sekundenbruchteil zu Lord Sylvarrestas Augen, um seine Intelligenz abzuschätzen, »… nur zwei.«
Es hätte geraten sein können, überlegte Iome, doch sie wußte es besser. Es gab ein Sprichwort: »Ein weiser König beansprucht nicht alle Geisteskraft für sich, sondern gesteht auch seinen Beratern Weisheit zu.« Im Norden hielt man es für unrentabel, mehr als vier Gaben der Geisteskraft zu übernehmen. Ein Lord, der dies tat, erinnerte sich an alles, was er je gehört, je gesehen, je empfunden hatte. Sylvarresta hätte niemals mehr als vier übernommen. Doch wie hatte Raj Ahten erkannt, daß Iomes Vater nur über zwei aktive Gaben verfügte?
Raj Ahtens Behauptung, er habe Geisteskräfte von tausend Menschen erhalten, raubte Iome den Atem. So etwas überstieg ihr Vorstellungsvermögen. Einige Lords schworen darauf, daß ein paar Gaben Geisteskraft mehr einem Runenlord einige Vorteile brachten zusätzlichen Erfindungsreichtum oder tiefere Einsichten.
Raj Ahten faltete die Hände. »Ich habe über die Greifer nachgedacht – wie sie sich in unserem Königreich in kleinen Enklaven breitmachen, jede davon mit einer neuen Magierin.
Die Plage ist weit verbreitet. Und nun, Sylvarresta, verlange ich, trotz aller friedfertiger Beteuerungen Eurerseits, mehr von Euch. Zieht Euch aus!«
Ungeschickt vor Nervosität, mit der Grazie eines abgerichteten Bären, löste Lord Sylvarresta die Schärpe seines Gewandes und ließ die mitternachtsblaue Seide von den Schultern gleiten, bis seine haarige Brust nackt war. Unter seiner rechten Brustwarze waren die roten Narben der Zwingeisen zu sehen, dem Zahnabdruck einer Geliebten gleich. Raj Ahten hatte Sylvarrestas Stärken mit einem Blick erfaßt.
»Eure Geisteskraft, Sylvarresta. Ich werde Eure Geisteskraft übernehmen.«
Iomes
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