Dunkel wie der Tod
ihre Knie.
âJa du, lass sie in Ruheâ, wiederholte Luther, und sein Hals färbte sich bedrohlich rot.
âAch, kommt schon, Evie weià doch, was da läuftâ, erwiderte Otis und drehte sich derweil eine neue Zigarette. âMr. Harry will eben nichts von ihr wissen. Dass Bridie Sullivan oder eine von den andern ihn in seinem schicken Büro unter ihren Rock lässt, das will er.â
âVon den andern?â, fragte Nell.
âBridie ist nicht die Einzigeâ, meinte Otis. âEs gibt mindestens ein halbes Dutzend von den Mädels, die springen, wenn er ruft. Wir nennen sie âHarrys Haremâ. An der Tür zu seinem Büro ist soân Fenster mit ⦠wie heiÃt das Ding doch gleich ⦠na ja, mit soânem Rollo. Immer wenn das Ding unten ist, wissen alle in der Fabrik, was dann da drin vor sich geht.â
âAber hauptsächlich ist es Bridieâ, wandte Mary ein. âOder war. Sie hätten den mal sehen sollen, wenn sie in der Nähe war! Der konnte die Augen gar nicht mehr von ihr lassen â als ob sie ihn verhext hätte.â
Ruth sagte: âEvie, hör nicht auf sie. Die wissen ja gar nicht, was sie da reden.â
Otis schnaubte verächtlich. âDamit tust du Evie keinen Gefallen. Es ist doch so. Harry Hewitt verliebt sich ganz gewiss in keines von den Mädchen aus der Fabrik und stellt sie zu Hause seiner Mama vor. Und schon gar nicht irgend so ein unscheinbares, kleines â¦â
âDu hältst deinen Mund!â, verlangte Luther. âHalt einfach deinen dummen Mund.â
âIch sag ja nur, was Evie eh schon weiÃâ, verteidigte sich Otis. âWarum sagst du deiner Schwester nicht, dass sie endlich aufhören soll, diesem reichen hübschen Jungen hinterherzuschmachten, der solche wie sie doch eh kein zweites Mal anschaut? Da hockt sie und ist ganz verzweifelt wegen Mr. Harry und ganz gelb vor Neid auf Bridie Sullivan, wenn doch â¦â
âEvie!â, rief Luther, als seine Schwester jäh aufsprang und davonrannte. Mit mittlerweile hochrotem Kopf stand er langsam und bedächtig auf und schaute Otis von oben herab an. âDu hast Evie wehgetan.â
âLutherâ, sagte Cora schnell, âlauf deiner Schwester hinterher. Los, geh schonâ, drängte sie ihn und zeigte zum Wäldchen, in dem Evie verschwunden war.
Unentschlossen stand Luther da, während seine Hände sich wie von selbst zu Fäusten ballten. Otis grinste und zündete sich scheinbar seelenruhig seine Zigarette an, doch Nell sah, dass seine Hände zitterten.
âEvie braucht dich jetzt, Lutherâ, lieà Cora nicht locker. âWahrscheinlich weint sie.â
Luther sah kurz zum Wäldchen, dann wieder zu Otis, sein Kinn gespannt und seine Augen vor Wut funkelnd. Als er sich schlieÃlich umdrehte und seiner Schwester hinterherrannte, atmeten alle erleichtert auf â auch Nell.
âEigentlich ist Luther ganz lieb, wie ein groÃes Kindâ, erklärte Ruth. âAber wenn er sauer wird, dreht er ein bisschen durch. Letztes Jahr hat er einen Mann fast totgeschlagen, weil der Evie dumm gekommen ist.â
âWas hast du dir eigentlich dabei gedacht, ihn so zu reizen?â, fragte Cora Otis.
âWir sind Freundeâ, erwiderte er gelassen und blies den Rauch aus. âLuther würde mir nie etwas tun.â
âDa wär ich mir aber nicht so sicherâ, murmelte Ruth.
âSind Sie mit dem Bild bald fertig?â, fragte Mary Nell. âMir tut schon alles weh vom Stillhalten.â
âGleichâ, erwiderte Nell, während sie noch ein paar unnötige Schraffuren hinzufügte. âAlso, was ich ja überhaupt nicht versteheâ, begann sie, âwenn Bridie und Mr. Harry ⦠nun ja, ihr wisst schon ⦠warum hat er sie dann rausgeworfen?â
âEr hat wohl nicht gern geteiltâ, stellte Otis fest und erntete zustimmendes Gelächter von den Mädchen.
âHat er das mit ihrem Freund herausgefunden?â, fragte Nell.
Otis nickte und zog an seiner Zigarette. âLetzten Freitag ist es passiert, als abends um halb sieben die Glocke Feierabend schlug. Mr. Harry stand drauÃen im Hof und hat sich mit jemand unterhalten. Und die hierâ, er deutete auf die Mädchen, âkonnten gar nicht mehr aufhören zu tuscheln und zu kichern, weil der so gut aussah. Ich hab gedacht, jetzt fallen sie auf der Stelle in Ohnmacht,
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