Dunkel wie der Tod
nur ein Wörtchen mitreden zu lassen!â
âWo waren Sie all die Zeit?â
âNirgends, wo es so interessant gewesen wäre, wie es hier soeben geworden istâ, meinte er mit einem vielsagenden Blick auf ihr Dekolleté und ihre bloÃen Arme, die unter dem hauchdünnen Batist hindurchschimmerten. Und natürlich die Zigarette. âMir scheint, Sie haben während meiner Abwesenheit eine bemerkenswerte Wandlung durchgemachtâ, stellte er fest.
Natürlich neckte er sie nur, das sah sie an seinen funkelnden Augen. Törichterweise glaubte sie trotzdem, sich rechtfertigen zu müssen: âIch will doch nur ⦠ich konnte nur hier hereinkommen, wenn ich wie eine ⦠nun ja â¦â
âUnd als ich Ihnen einmal zu erklären versuchte, dass man durchaus zu respektabel aussehen könne, wollten Sie mir nicht glauben. Rauchen Sie die noch? Meine sind mir gerade ausgegangen.â Fragend deutete er auf ihre Zigarette. Sie schüttelte den Kopf und reichte sie ihm. Mit einem kurzen Blick darauf meinte er schmunzelnd: âNun, zumindest kein Lippenrot.â
âNatürlich nicht.â
Er nahm einen tiefen Zug, lieà seinen Blick auf ihrem Mund ruhen und blies den Rauch langsam aus. âIch finde, dass Sie ruhig welches tragen sollten â zumindest ein wenig.â
Sein unverblümter Blick brachte sie in Verlegenheit, und sie sah beiseite.
âWas um alles in der Welt hat Sie hierher verschlagen?â, fragte er. âDies ist kaum ein Ort, an dem man eine so ungeheuerlich respektable junge Dame wie Sie vermuten würde.â
âIch bin Ihrem Bruder gefolgt.â
âHarry?â Will schaute zu den Spieltischen hinüber.
Nell folgte seinem Blick und entdeckte Harry unter einem der vier Männer, die gerade beim Faro ihren Einsatz gaben. âIch muss mit ihm redenâ, sagte sie.
âViel Glück. Ich war hier mit ihm verabredet â nachdem er mich eine Stunde hat warten lassen, zog er dann gleich mit einem Bündel Dollarnoten los zu den Spieltischen.â
Sie waren verabredet gewesen? Während Wills kurzem und recht ereignisreichem Aufenthalt in Boston letzten Winter hatte er überhaupt keinen Kontakt zu Harry gehabt â eigentlich hatten sie sich seit Wills Weihnachtsurlaub von der Unionsarmee 1863 nicht mehr gesehen. Und nun war Will auf einmal wieder in der Stadt und zog mit seinem Bruder um die Häuser? Nell gingen allerlei Fragen durch den Kopf, doch sie sagte nur: âEs überrascht mich, Sie nicht auch dort drüben zu sehen.â
âHier würde ich nicht einmal einen halben Penny setzen â alles ein abgekartetes Spiel. Mit all dem hübschen Firlefanz locken sie die Reichen und Schönen herbei und nehmen sie dann nach Strich und Faden aus. Aber Harry will mir nicht glauben, weil sie ihm groÃzügig Pernod ausschenken, ohne dass er jemals die Rechnung dafür zu Gesicht bekommt.â
âIch muss mit ihm redenâ, meinte Nell abermals.
âEr wird aber nicht mit Ihnen reden.â Will beugte sich vor und drückte die Zigarette in einem der Aschenbecher aus, die auf den Marmortischen standen. âEr scheint Sie nicht gerade zu mögen seit den Ereignissen im letzten Winter.â
âIch habe mich für das entschuldigt, was ich über ihn gesagt habe.â
âSie haben ihn des Mordes bezichtigt, Nell. Derlei vergisst man nicht so leicht.â
âIch weiÃ. Aber er hat einfach ⦠einen so überaus schuldigen Eindruck auf mich gemacht.â
âHarry wirkte bereits schuldig, als er auf die Welt kam.â
âIhr Cognac, Sir.â Ein Kellner mit einem Getränketablett stellte einen bauchigen Cognacschwenker auf den Tisch und legte eine Leinenserviette dazu.
âFür wen ist das?â Will zeigte auf ein zur Hälfte mit einer grünen Flüssigkeit gefülltes eiförmiges Glas, das inmitten all der Whiskeys und Champagnergläser leuchtend hervorstach. Neben dem Absinthglas stand eine goldumrandete Untertasse mit einem Krug Eiswasser darauf, einem Zuckerwürfel und einem geschlitzten Löffel.
âFür den Herrn dort drübenâ, sagte der Kellner und deutete mit dem Kopf zu den Faro-Spielern hinüber.
âRote Weste?â, vergewisserte sich Will.
âGanz genau.â
âBringen Sie es wieder zurück.â
âAber â¦â
Will gab ihm ein paar Münzen. âBringen Sie ihm
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